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Tote Menschen und stille Stunden

Eine App auf meinem Handy erinnert mich daran, Wasser zu trinken. Ich ignoriere die Mitteilungen. Letzte Woche haben sie mir noch geholfen und mich motiviert. Nach jedem Glas Wasser ein Klick auf das Pluszeichen. 8x Klicken bedeutet, der Tag war erfolgreich. Jedenfalls was den Kampf gegen das nicht vorhandene Durstgefühl betrifft. Die anderen Kämpfe sind nicht mitgemeint.

Der 81 Jahre alte republikanische Politiker Mitch McConnell vergisst während einer Pressekonferenz den Sinn seiner Existenz und muss aus dem Raum geführt werden.

Sinéad O´Connor ist tot. Die Frau, die viele nur durch ihren Hit „Nothing compares to you“ kennen und die 1992 während eines Auftritts bei Saturday Night Live vor laufenden Kameras ein Foto von Papst Johannes Paul II zerriss, um gegen Kindesmissbrauch in der Katholischen Kirche zu protestieren.

Auf Instagram schreibt der Autor Hanif Abdurraqib:

She was open in her songs, in her writing, in pleas made on the internet. The world is not equipped to hold a person´s suffering, gently or otherwise. And I find that to be an especially enraging failure. I am a broken record with this, but I truly encourage people to look within and ask yourself hard questions about your relationship with interpersonal cruelty.

In einigen deutschen Supermärkten gibt es jetzt stille Stunden. Das bedeutet, es wird in dieser Zeit auf Lautsprecherdurchsagen und Musik verzichtet, die Lichter werden gedimmt, Kassentöne reduziert und niemand räumt die Regale ein. Das hilft Menschen, die viele Umweltreize nicht gut filtern können und die sich nach dem Einkaufen häufig fühlen als wären sie gerade einen Marathon gelaufen.

Vielleicht hilft es früher oder später auch denen, die sich bisher nie gefragt haben, ob sie Umweltreize gut oder nicht so gut filtern können. Vielleicht könnte man in jedem Supermarkt das Licht dimmen.

Auf der Suche nach Brotrezepten erfahre ich über Umwege von Dingen, die mich traurig machen oder nicht interessieren.

Eine Studie hat herausgefunden, dass Hitze sich auf die mentale Gesundheit auswirkt. Eine andere Studie hat herausgefunden, dass sozial benachteiligte Kinder sich einsamer fühlen. Eine dritte Studie hat herausgefunden, dass Bäume Schatten spenden.

Es gibt einen TikTok-Trend namens „NPC Fetish“. Kein Wunder, dass uns keiner ernst nimmt.

Mein weiblicher Körper schaltet das Level „Feuchtigkeitsmangel und Suizidgedanken“ frei. Ich kenne das mittlerweile schon gut. Ich kenne das so gut, ich könnte einen Volkshochschulkurs geben mit dem Titel „Souveräner Umgang mit Suizidgedanken“. In 48 Stunden ist es vorbei.

Dann kommt das Level „Schlachthof und Improvisationstheater“. Die Frauen in der Werbung besuchen in dieser Phase ihres Zyklus immer Reiterhöfe, laufen mit ihren ebenfalls stark blutenden Freundinnen schnatternd über eine Wiese, tragen sich für einen Aqua-Gymnastik-Kurs ein und beenden den Tag auf einem schneeweißen Sofa bei einem Glas Lillet Wild Berry und einer Runde Raffaelo.

Meine Prioritäten sind andere. Warum eigentlich? Ich werde bis zum nächsten Mal darüber nachdenken.

Wenn man bei etsy „stickbilder waschbären“ in das Suchfeld eingibt, gibt es 233 Treffer.

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Aliens

Liebes Tagebuch,
der Barbiefilm erhitzt die Gemüter. Auch der Film mit der Bombe erhitzt die Gemüter, aber aus anderen Gründen. Der alte Mann mit den toten Augen, den poetischen Gedanken und der zerlaufenen Schminke im Gesicht verbietet den Frauen, öffentlich über ihre Erlebnisse zu sprechen.

Jemand fühlt etwas. Er will nichts fühlen. Ein Vergnügungspark entsteht.

Jemand fühlt etwas. Es kommt ungelegen. Ein Panzer wird gebaut.

Jemand fühlt etwas. Eine Erinnerung gesellt sich hinzu. Der Kopf füllt sich. Man mietet eine Lagerhalle, um die Leichen nicht immer im Keller stapeln zu müssen.

Die Amerikaner haben eine … wie drücke ich mich jetzt am besten aus … die Amerikaner haben eine Besorgnis erregende Alien-Situation. Ich denke an Sigourney Weaver und ich denke an die Katze.

Ich wollte eigentlich immer nur ein kleines Haus mit einem Garten voller Wildblumen und einem kleinen Gemüsebeet und einem Streuner. Das kann eine Katze sein oder ein Hund oder ein Mensch. Und ab und zu gibt es aus einer Laune heraus ein unangekündigtes Straßenfest und alle, die man so kennt und/oder liebt, bleiben abgesehen von ein paar Gallensteinen und gelegentlichen Muskelzerrungen so lange wie möglich gesund.

Aber die Außerirdischen sind jetzt da, das kann man googeln, und das Gemüsebeet ist nicht mehr so wichtig und natürlich frage ich mich nun wie jeder normale Mensch, in welcher Einheit ich denn landen werde und ob jeder Sklave eine eigene Schlafkapsel bekommt.

Ich bin müde. Schon wieder. Immer noch. Das eine geht in das andere über. Vielleicht sind die Außerirdischen gekommen, weil sie die Bundesjugendspiele abschaffen möchten. Vielleicht versklaven sie uns nicht, vielleicht schenken sie uns die Freiheit. Ehrenurkunden, Siegerurkunden, so viele Urkunden, so viele Zertifikate, so viele Gutachten. So viele Details, die man beachten kann als Ersatz dafür, dass man den Blick für das große Ganze verloren hat.

Ich hoffe, wir versauen es nicht. Ich hoffe, wir schaffen es über den ersten Eindruck hinaus.

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Ein Fest. Ein Gedicht. Eine Randnotiz.

In Deutschland sterben Kinder, weil sie nicht mehr versorgt werden können.
Lady Gaga macht Werbung für Dom Perignon.
Fiona ist seit Juni 2022 schulunfähig.
Ein Therapiehund nimmt auf dem Schoß des Moderators Platz.
Ich suche nach einem Stuhl, den ich in den Fernseher schmeißen könnte.

Den Jumpsuit gibt es in drei Farben. Es sind Herbstfarben, sie stehen mir nicht, ich bin ein Sommertyp, denen stehen die kühlen, pudrigen Farben und bald sind wir alle Sommertypen, gezwungenermaßen, und so schnell wie unsere Zeit kommt, geht sie auch wieder.

Ein muskulöser Mann sitzt unter einer Palme. Er trägt ein rotes Stirnband und spricht über den Kampf Gut gegen Böse. Faschismus oder Utopia. Er kennt sich aus, er grenzt das ganz klar voneinander ab, er hat seine eigenen Dämonen in einen Raum gesperrt und den Schlüssel weggeschmissen, er hat nie versucht, ihn als kleine Erinnerung am Hals mit sich zu tragen und noch weniger daran gedacht, die Tür nur angelehnt zu lassen. Das wäre zu riskant.

Und deshalb weiß er nicht, wie Dämonen sich bewegen, wann sie schlafen, was sie essen, worüber sie lachen, wie sie miteinander flüstern und tanzen, nach wem sie rufen und wie sie sich voneinander unterscheiden. Er kennt sie nur noch aus Geschichten, die sich andere Menschen für ihn ausgedacht haben. Er ist so fest von dieser Grenze überzeugt. So viel Gewissheit, so wenig Information.

Stealthing. Fußball. Ein Zitat von Ernest Hemmingway. How did you go bankrupt? First: Gradually. Then: Suddenly.

Ein Reporter hat die Möglichkeit, Jacinda Ardem und Sanna Marin eine Frage zu stellen und ich frage mich, wie viele aktive Vulkane es noch gibt auf dieser Welt und wie viel Leben noch in ihnen ist und was für ein wunderschönes Spektakel das wäre, wenn sie alle zeitgleich ausbrechen würden.

Der erste Schnee. Ich deute in einem Halbsatz eine für mich sehr wichtige Weggabelung an, aber da kommt keine Reaktion, ich könnte auch einfach überhaupt nichts gesagt haben und manchmal vergesse ich, dass nicht jeder diese Klettverschlüsse bei sich trägt, an denen so etwas anhaften kann.

Ich frage mich, ob Dämonen nähen können und was dabei heraus kommen würde. Fantasievolle Kostüme für rauschende Nächte oder Alltagskleidung. „Geschichte vom kleinen Dämon mit der Nähmaschine“ notiere ich mir. Aber es wird nur eine Notiz bleiben. Die Klettverschlüsse hängen an mir, mehrlagig und es haften Sorgenfalten und ungesagte Sätze und Porzellanelefanten daran.

Auf Instagram sagt Mads Mikkelsen einer schönen Frau mit großen Ohrringen, dass sie toll aussieht. Und wir erfahren, dass es in Österreich viel mehr Sorten Radler als in Deutschland gibt. Und ungefähr 1.500 aktive Vulkane.

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Autos. Amazon. Anthroposophie. Alkohol.

Liebes Internet, vor einigen Tagen wurde mir wieder klar, dass das Auto fast der einzige Ort ist, an dem ich mich sicher fühle. Ich esse im Auto, ich schlafe im Auto, ich treffe Entscheidungen im Auto, ich führe Selbstgespräche im Auto, ich überlege, einen Podcast zu starten und alle Folgen hinter dem Steuer aufzunehmen, nur um noch mehr Zeit in meinem Auto verbringen zu können.

Autos

Man kann die Tür von innen verriegeln und umkehren und Kurven theoretisch so nehmen wie man das gerne möchte. Solche Orte wie mein Auto finde ich sonst nicht.

Ich glaube, irgendein FDP-Politiker und ich, wir werden die letzten Menschen in Deutschland sein, die Auto fahren. Das ist mir unangenehm, aber nicht unangenehm genug, um so oft wie möglich die Bahn zu nutzen. Ich würde es tun, wenn die Möglichkeit besteht, dass ich die Bahn selber fahren kann. Solange das nicht erlaubt ist und solange in den Zugabteilen immer auch andere Menschen in meinen Wohlfühlradius von 2,5 m eindringen, werde ich weiterhin so oft wie möglich in meinem Auto sitzen.

Neulich wurde mein Auto abgeschleppt und ich habe dann daraufhin gleich fünf freundliche Menschen kennen gelernt. Einen freundlichen Polizisten, einen freundlichen Taxifahrer und drei freundliche Mitarbeiter von drei unterschiedlichen Taxizentralen.

Amazon

Bei Amazon gibt es Automülleimer. Es gibt auch ganz raffinierte Kofferraum-Organizer. Damit Leute wissen, wo sie die Buttermilch verstauen können.

Und es ist gerade Black Friday Woche. Unter „Empfohlene Angebote“ auf der Startseite finde ich: Zwei kleine Geldbörsen, eine in schwarz (36 % Rabatt), eine in braun (45 % Rabatt). Eine Uhr (30 % Rabatt). Und einen Astronomie-Experimentierkasten für Kinder ab 8 Jahren mit vier verschiedenen Umlaufzeiten (20% Rabatt). Weil ich kein Geld, wirklich kein Geld und ein auch durch eine Uhr nicht zu korrigierendes Zeitgefühl habe, interessiere ich mich nur für den Experimentierkasten. Apropos Experimente.

Anthroposophie

Gestern hat Jan Böhmermann in seiner Sendung über Anthroposophie und Waldorfschulen gesprochen. Viele Aspekte konnten nur oberflächlich angedeutet werden, eine differenzierte und umfassende Einordnung des Themas ist in 20 Minuten kaum möglich. Dass sich die Öffentlichkeit mittlerweile mehr dafür interessiert, ist ein gutes Zeichen.

Vielleicht kann das staatliche Bildungssystem ja etwas von diesem Einbildungssystem lernen. Nur etwas, bloß nicht zu viel.

Ich könnte ein Selbsthilfebuch über die Anthroposophie schreiben, also aus Sicht einer in der stumpfen Welt verhafteten, unwissenden, grobschlächtigen Person, die sich hartnäckig der Erleuchtung widersetzt. Ich könnte darüber schreiben, wie die Anthroposophie auf zugewandte, ganzheitliche, butterweiche Art und Weise halbwegs gute Menschen innerlich lähmen und von ihrer eigenen Intuition abschneiden kann. Aber ich weiß nicht, wo ich da anfangen soll.

Ich habe stattdessen angefangen, eine fiktive Geschichte aufzuschreiben, in der es darum geht, was passiert, wenn in der nahen Zukunft in einer düsteren Welt privilegierte Menschen, die glauben, dass alles Energie ist, auf Personen vom anderen Ende des Sonnensystems treffen, die die Erde sehr gut kennen, weil sie mal auf ihr gelebt und daran zugrunde gegangen sind, die also eine Menge über im Überfluss vorhandene und kaum vorhandene Lebensenergie wissen – und die in der Geschichte dazu in der Lage sind, Energie zu fangen, zu messen und neu zu verteilen.

Ich habe mir jedoch, wenn ich schon nicht umfassend über meine persönlichen Erfahrungen mit der Anthroposophie berichten möchte, erlaubt, die Idee der Mondbrüller von ihnen zu übernehmen. Das sind – in meiner persönlichen Version – Wesen, die auf Magua leben und den Mond anbrüllen, wenn sie nicht schlafen können, was bei anderen Bewohnern zu Schlafstörungen führt.

Ich empfinde beim Schreiben viel Freude.

Alkohol

Der glatzköpfige Fifa-Mann hat auf der Auftaktpressekonferenz der WM in Katar gesagt: „Heute fühle ich mich katarisch, arabisch, afrikanisch, homosexuell, behindert und als Gastarbeiter. Ich fühle so, weil ich das alles gesehen habe.“

Ich kann jeden verstehen, der sich in diesen Tagen zum ersten Mal oder den 200. Tag in Folge vom Schnapsschrank angezogen fühlt.

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Das Internet ist tot. Es lebe das Internet.

Liebes Internet,
heute habe ich festgestellt, dass mir auf dem Rücksitz immer noch schlecht wird. Das war in den 80ern so und in den 90ern und auch im neuen Jahrtausend. Das geht nie mehr weg, aber ich habe irgendwo mal gelesen, dass Ingwer gegen Reiseübelkeit hilft. Normalerweise beginnt die Ingwertee-Saison jetzt. Aber die Sonne hat sich im Monat geirrt und davon brummt mein Kopf. Mein Körper versteht die Temperaturen nicht. Ich werde wahrscheinlich als erste umfallen, wenn es soweit ist.

Irgendwas ist anders im Internet. Christian hat das hier ziemlich gut beschrieben. Ein bisschen fühlt es sich an wie eine Beerdigung, die direkt im Anschluss in eine kleine, nette Geburtstagsrunde übergeht. Oder wie der 28. Dezember. Die Festtage sind vorbei, man fühlt sich den Umständen entsprechend nicht topfit, irgendwie überfressen und man beginnt neben dem Völlegefühl zaghaft Platz für etwas Neues zu machen, ohne zu wissen, ob es kommt. Es war schön, aber man vermisst gerade nichts. Die, die man vermissen würde, sind ja fast alle irgendwie noch da.

Heute habe ich einen Geist gesehen. Klein, mit Körbchen, an einer Ampel stehend. Das war schön. Und meine Mutter und meine Tante erzählten von früher. Das war auch schön.

Ich werde jetzt auf einer anderen Internetseite einen Kommentar hinterlassen. Keinen Tweet absetzen. Oder ein Bild auf Instagram teilen. Einen Kommentar hinterlassen. Dass ich das noch erleben darf.

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Gefunden

Liebes Internet,
dem reichen, blassen Mann gehört jetzt Twitter. Twitter hat damals meine Schreibwut massiv unterbrochen. Drei gute Jahre hatte ich, dann meldete ich mich 2008 bei Twitter an und verstummte eine Weile. Ein kurzes kreatives Aufbäumen in den Jahren 2010 bis 2012 und dann lösten sich alle Sätze, die ich noch in mir habe, in Stirnrunzeln, erhöhten Ruhepuls und Selbstzweifel auf.

Ich habe mich seitdem weiterentwickelt. Rede ich mir jedenfalls ein. Ich wundere mich über andere Dinge und Menschen als damals. Oder ich wundere mich gar nicht mehr, sondern greife einfach in die Innentaschen meines Anoraks, ziehe eines der Drehbücher heraus, die man halt so mit sich herumträgt, und schaue nach, ob da etwas brauchbares drinsteht.

Ob jemand vielleicht schon darin herumgeschmiert hat, ob da irgendwelche Anweisungen für mich drinstehen, mit denen ich etwas anfangen kann und die vielleicht etwas mit meinem Inneren zu tun haben. Ich glaube, das ist jetzt gerade einfach eine Phase, in der ich herauszufinden versuche, ob das was ich denke dem entspricht, was ich wirklich denke. Masking. Schauen, wie viele Masken da sind. Und wer dahinter steckt. Hoffen, dass das nicht so lange dauert. Bitte, liebes Spaghettimonster, lass das jetzt nicht wieder so lange dauern.

Ein neues Stück. Ein neues Drehbuch. Neue Anweisungen, die mal mehr und mal weniger Sinn ergeben. Neue Texte, die hinzugefügt und Stellen, die gleich ganz gestrichen wurden.

Und ich habe in mir eine Freundin gefunden. Nichts gegen meine anderen Freundinnen und Freunde, aber niemand versteht und unterstützt mich so gut wie ich mich verstehe und unterstütze. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätten wir uns früher finden dürfen.

Andererseits: Andere finden sich nie. Oder sie hassen was sie finden. Oder was sie finden, hasst sie. Oder sie finden so viel, dass sie erstmal überfordert sind. Oder zu wenig. Und dann brauchen sie Hilfe. Aber alle Therapeutinnen und Therapeuten in der Nähe haben so unglaublich beschissene Sprechzeiten.

Wir sind jederzeit telefonisch für Sie erreichbar – und zwar mittwochs und freitags zwischen 11 und 11.30 Uhr. Von Anfragen per E-mail bitten wir abzusehen, die lesen wir nur zweimal im Monat.

Ich weiß bis heute nicht, wie man E-mail schreibt. E-mail. Email. eMail. E-Mail. Es gibt noch so viel zu lernen. Schön, wieder hier zu sein. Ich erwarte nichts von mir, bin aber da, wenn ich gebraucht werde. Wie gesagt: Ich bin mir eine sehr gute Freundin geworden.

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Knöpfe

Denkt an bequeme Pyjamas und eure Lieblingssocken, weil diese kleinen Details es bequemer für euch machen, und denkt an ein Oberteil mit Knöpfen vorne dran, schreibt die fremde Person ins Internet nach ihrer Herz-Op. Denkt an die Oberteile mit den Knöpfen vorne. Also weine ich ganz kurz, nicht weil es mich gerade betrifft und ich Angst haben müsste, ich weine kurz, weil es mich rührt, dass Menschen einander Erinnerungen schicken. An Oberteile mit Knöpfen dran. So etwas kleines banales. Wahrscheinlich ist die Welt gar nicht so verloren.

 

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Im Porzellanladen #3

Minutenlang eine Kinderzeichnung betrachten, um herauszufinden, wie es um die Zukunft des Landes steht. Auf ein Danke warten, wie jemand, der gerade erst geboren wurde, obwohl zwei oder drei kluge Menschen gesagt haben, dass das sinnlos ist. Dem Wort Ent-Täuschung neu begegnen. Immer wieder den gleichen Test nicht bestehen. Sich fragen, ob die das eigentlich wirklich nicht wissen, die Institutionen, so nenne ich das jetzt mal, ob die das nicht wissen, wie sehr sie eingreifen, über Umwege, in das Leben von Familien, in den Schlafrhythmus, in die Gedanken, in die Regale in den Schränken in den Küchen der Menschen.

Ich will über Müdigkeit schreiben, aber man kann über Müdigkeit gar nicht so gut schreiben, denn wenn man das Bedürfnis hat, über Müdigkeit zu schreiben, bedeutet das, dass man selber müde ist und da wo früher ununterbrochen halbe Sätze durch meine Adern flossen, fließt heute nur noch lauwarme Buchstabensuppe.

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Überall begegnen einem kompetente Frühaufsteher, die auf alles eine Antwort haben. Ich will mal einem begegnen, der die Antwort nicht kennt, sich aber traut, ein paar Fragen zu stellen. Ich will mal einen treffen, der noch erschöpfter ist als ich. Der beim Haaretrocknen nach dreißig Sekunden den Föhn ablegen muss, weil der Arm so weh tut.

Ich will mal einem freundlichen Menschen begegnen, der das auch wirklich so meint. Nicht dieser Knigge-Scheiß. Einem der neben mir sitzen bleibt und wissend nickt, wenn ich davon erzähle, dass die Gesellschaft im allgemeinen dazu neigt, menschliche Stärken in Klassen einzuteilen. In chaotischen Situationen einen kühlen Kopf bewahren, das ist eine Stärke erster Klasse. Gute Beobachtungsgabe besitzen, um solche Situationen möglicherweise verhindern zu können, das ist eine Stärke zweiter Klasse. Manche Personen besitzen beides und dann wünscht man sich, dass etwas davon auf einen selbst abfärbt, aber Wünsche haben einen Menschen noch nie weitergebracht. Das einzige, was Menschen weiterbringt ist das Überwinden der Telefonangst.

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Mit welcher Geduld Leute einander dabei zuschauen können, wie ihnen alles um die Ohren fliegt. Mit welcher Ruhe und Gelassenheit sie sich unter den Zaunpfählen begraben lassen, die auf ihre Köpfe herunter regnen. Mir ist das nie bewusst gewesen. Dass auch die anderen erschöpft sind. Zu erschöpft, um zwischen den Zeilen zu lesen. Zu müde für die Fußnoten. Aber auch zu erwachsen um es zu zeigen Und so lassen wir einander im Glauben, man wäre mutterseelenallein auf dieser Welt.

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Realität – Ofenkäse = Sehnsucht

Ich war gestern eine von fünf Personen, die bei #mimimimi mitmachen durften. Das ist der Titel einer Lesung, die seit 2013 in Bonn von Sylvia Rang und Johannes Mirus organisiert wird. Es war in vielerlei Hinsicht ein richtig toller Abend, darüber werde ich aber hoffentlich bis morgen Abend noch etwas schreiben. Der Text, den ich vorgelesen habe, ist eine Mischung aus Gedanken, die ich mir vor mehr als einem Jahr nach einem Einkauf bei Rewe mal gemacht, aber nie „ins Reine geschrieben“ habe, und einem alten Blogbeitrag, den ich im Februar 2017 veröffentlicht habe. 

Letzte Woche stand ich unfreiwillig lange im Rewe vor dem Kühlregal. Ich hatte den Laden betreten in der Hoffnung, mal eben schnell innerhalb von fünf Minuten Ofenkäse zu kaufen. Ich verließ ihn wieder mit der Erkenntnis, dass der Ofenkäse ausverkauft ist und dass die Welt mehr den je auf ganz normale, harmlose Menschen wie mich angewiesen ist.

Ausverkauften Ofenkäse gab es in meinem Leben bisher nicht und ich sage euch, ich habe schon einiges erlebt. Ausverkauftes Trockenshampoo zum Beispiel. Oder dass es die mittelharten Zahnbürsten nicht mehr in meiner Lieblingsfarbe Hellblau gibt, dafür aber viele weiche grüne und einige harte Rote.

Ich tat dann, nachdem ich zehn Minuten lang meine Stirn in nachdenkliche Falten gelegt hatte, etwas für mich vollkommen natürliches: Ich kaufte Fischstäbchen, ging zum Auto und stellte mir die entscheidende Frage. Warum gibt es einen Rewe-Lieferdienst, aber keine App, die mir Bescheid sagt, dass der Ofenkäse ausverkauft ist? Weil, man könnte so viel bewirken in der Welt, wenn man nicht immer unnötig vorm Kühlregal herumsteht.

Folgendermaßen könnte das ablaufen.

Montag: Der Rewemarkt bekommt haufenweise Ofenkäse, der von entspannten Verkäuferinnen in das dafür vorgesehene Kühlregal gelegt wird. Irgendeine künstliche Intelligenz registriert, dass im Kühlregal 10 Ofenkäse liegen und sich weitere 20 im Lager befinden.

Dienstag: Sechs Leute haben Ofenkäse gekauft. Die künstliche Intelligenz schickt eine Nachricht an die für Nachschub zuständige Person oder eine andere künstliche Intelligenz, damit das Regal wieder aufgefüllt wird.

Mittwoch: Weitere 23 Personen, denen ihre Gesundheit vollkommen gleichgültig ist, kaufen Ofenkäse. Zeitgleich kehren einige Kardiologen aus ihrem wohlverdienten Sommerurlaub zurück.

Donnerstag: Die Ofenfrische mit Thunfisch ist heute im Angebot. Kein Mensch interessiert sich für den Ofenkäse.

Freitagmorgen: Irgendein selbstsüchtiges Arschloch betritt den Rewe und nimmt den allerletzten Ofenkäse. Die künstliche Intelligenz sendet ein Signal an die intuitiv bedienbare, megacoole App rewe buy & chill.

Ich habe die App auf meinem Handy installiert und natürlich mit fünf Sternen bewertet, weil sie mir den Alltag wirklich sehr erleichtert. Sie schickt mir nicht nur Angebote, sie gibt mir auch die Möglichkeit, mich mit attraktiven Rewe-Kunden in meinem Umfeld zu vernetzen, die zum Beispiel die gleichen Teesorten und Marmeladen oder Brötchenhälften mögen wie ich.

Doch die allertollste Funktion kennt ihr noch gar nicht.

Denn: Am Freitagnachmittag einigen mein Komplize und ich uns darauf dass es heute Abend Ofenkäse gibt. Ich öffne meine megacoole rewe buy & chill App, die mir den Alltag wirklich sehr erleichtert, und gebe „ofenkäse“ in das Suchfeld ein. Auf meinem Display erscheint daraufhin der Hinweis, dass es in meinem Lieblings-Supermarkt heute keinen Ofenkäse mehr gibt, ich aber die Möglichkeit habe, eine Alternative zu kaufen. Camembert zum Beispiel. Davon gibt es noch fünfzehn Packungen. Oder ich kaufe den Ofenkäse in einem anderen 7 km entfernten Supermarkt, kann ihn dort sogar für die nächsten 2 Stunden reservieren. Ernsthaft. So toll ist diese App!

Vielleicht entscheide ich mich auch für etwas ganz anderes. Zum Beispiel könnte ich mit den Resten daheim noch eine Mahlzeit kochen. Ich öffne die total praktische Resteessen-Funktion, die seit dem letzten Update wirklich einwandfrei funktioniert und erhalte zunächst eine Push-Nachricht, in der ich gefragt werde, ob ich immer noch eine Nussallergie habe und was mit der halb angefangenen Packung Haselnüsse passieren soll, die in der Schublade neben den Muffin-Förmchen liegt.

Ich habe die Möglichkeit, es zu ignorieren, einen Termin beim Ernährungsberater zu machen oder mir von einer Drohne ein Anaphylaxie-Notfallset vorbeibringen zu lassen. Das kann die App alles. Deshalb bezahlt man dafür auch 4,99 Euro.

Was ich sagen will: Natürlich möchte ich nicht, dass Rewe, oder die AOK oder mein Stromanbieter Zugriff auf alles haben, was in meiner Küche passiert. Natürlich möchte ich nicht für Ofenkäse zum gläsernen Bürger werden. Natürlich möchte ich nicht fünf Minuten Zeitersparnis gegen Totalüberwachung eintauschen.

Aber wäre es nicht herrlich, wenn wir so langsam mal an einen Punkt kämen, an dem die Möglichkeiten der Digitalisierung uns im Alltag wirklich etwas zurückgeben würden?
Wie viele Formulare sollen wir noch runterladen, ausdrucken, ausfüllen und zur Post bringen? Welche Berge müssen wir versetzen, wie viele halbe Tage Urlaub nehmen, damit der verdammte Sperrmüll abgeholt, unser Nebengewerbe angemeldet oder der Förderantrag genehmigt ist?  

Und wie kann es sein, dass so wahnsinnig viele Menschen, vor allem ältere Generationen in der Provinz, damit viel entspannter umgehen als ich? Die Antwort liegt auf der Hand: Sie kennen es nicht anders. Und sie ahnen nicht, dass sie es möglicherweise verdient haben, ein bisschen Zeit und Energie zu sparen.

Und sie wüssten vielleicht auf Anhieb auch gar nicht, was sie mit der gewonnenen Zeit und Energie anstellen. Der leere Raum würde sie verunsichern. Solche Leute gibt es. Vielleicht nicht so viele hier in Bonn, aber da wo ich lebe, gibt es Menschen, die so Sätze sagen wie “Ich hab jetzt drei Wochen Urlaub. Nach fünf Tagen wird mir bestimmt die Decke auf den Kopf fallen.” Oder: “Warum willst du dir einen Staubsauger-Roboter kaufen? Hast du zuviel Geld?!”

Ich hab nicht zuviel Geld. Ich hab zu wenig Zeit. Ich will spazieren gehen und ein Instrument lernen und die Schneegänse beobachten und Malkurse besuchen und Kurse in gewaltfreier Kommunikation, damit ich nicht immer alle Leute beleidigen muss, und ich will mich über Garten-und Landschaftsbau informieren, gründlich, und mich einer Pfadfindergruppe anschließen und natürlich will ich auch programmieren lernen, wegen der App für Rewe.

Ich will – vereinfacht gesagt – nicht ständig mit Fragezeichen im Kopf vorm Kühlregal herumstehen.  Ich will ab und zu in meiner eigenen Welt leben. Und damit wirke ich natürlich wie ein komischer Vogel in den Augen derjenigen, die sich ihrer eigenen Zeitverschwendung und Freizeitpassivität gar nicht bewusst sind.

Vor einer Weile habe ich einen Text geschrieben, der vielleicht veranschaulichen kann, warum es durchaus ok ist, hin und wieder in seiner eigenen Welt leben zu wollen und sich deshalb über vergeudete Zeit im Alltag aufzuregen.

In dem sehr empfehlenswerten Film „The Departed“ sagt Mafiaboss Frank Costello, gespielt von Jack Nicholson, ganz am Anfang einen sehr schönen Satz: Ich möchte nicht das Produkt meiner Umwelt sein. Ich möchte, dass meine Umwelt ein Produkt von mir ist.

Nun ist dieser Mensch in dem Film nicht gerade ein Vorbild für gutes Benehmen, aber unabhängig davon können wir uns diesen schlauen Satz trotzdem ruhig mal etwas näher anschauen. Dahinter verbirgt sich nämlich ein riesengroßes Missverständnis. Nämlich, dass es pauschal erstmal verdächtig ist, in seiner eigenen Welt zu leben oder seine Umwelt zu beeinflussen, statt sich von ihr beeinflussen zu lassen.

Als Kind und Jugendliche war es mir oft eine Freude, Erwachsenengespräche zu verfolgen. Ich saß wortlos auf dem Sofa, nippte am Kakao und lauschte und lernte. Hin und wieder unterhielten sich die großen Menschen über andere mir fremde Personen. Den Freund von einer Freundin oder die Tante XYZ oder die neuen Nachbarn. Und in ihren Worten klang immer ein bisschen Geringschätzung mit, wenn sie den Satz sagten, um den es mir geht: „Der lebt halt in seiner eigenen Welt.“

Man spürte, derjenige wurde irgendwie toleriert, neugierig beäugt, immer höflich auf Abstand gehalten. Oft ging es um unausgesprochene Regeln, um Konventionen, mit denen angeblich gebrochen wurde, um „so Künstlertypen“. Und wir sprechen hier nicht von Leuten, die in irgendeinem Baumhaus außerhalb des Dorfes leben, sich nicht die Haare waschen und zuhause einen Hildegard-Orgon-Akkumulator neben ihren Staffeleien stehen haben. Wir reden von Menschen, denen einfach nur nicht so schnell langweilig wird. Die etwas mit sich anzufangen wissen. Die die Frechheit besitzen, ab und zu mal in ihrer eigenen Welt zu leben.

Weil: Wo wollen wir denn sonst leben, wenn nicht in unserer eigenen Welt? Warum ist „Du lebst in deiner eigenen Welt“ nicht ganz offiziell eines der schönsten Komplimente, die man einem anderen Menschen machen kann? Sind Leute, die nach ihren eigenen Maßstäben leben, nicht eine Wohltat? Also, mal abgesehen von Donald Trump und Horst Seehofer, die leben ein bisschen zu sehr nach ihren eigenen Maßstäben.

Brauchen wir in Zukunft nicht mehr ganz normale Menschen, die sich Gedanken darüber machen, in welcher Welt sie einmal leben wollen? Sollen wir uns stattdessen in der Welt einer anderen Person einrichten? Ihr vielleicht auch noch die volle Verantwortung für unser Leben geben? Stehe ich dann jeden Morgen auf und warte darauf, dass mir jemand eine Bedienungsanleitung für mein eigenes Leben neben mein Kopfkissen legt, während ich zum neunten Mal die Snooze Taste drücke?

Und werde ich dann motzig, wenn Wochenende ist, und mir das Programm nicht gefällt, um das ein anderer sich bereitwillig gekümmert hat?

In seiner eigenen Welt leben – das ist eine gute Sache. Nicht pausenlos, nicht unter allen Umständen und ohne Rücksicht auf Verluste, aber so oft wie möglich, immer mal wieder, mit kleinen Unterbrechungen. Das ist nicht egoistisch, das ist verantwortungsbewusst. Es geht um Verantwortung für das eigene Leben, die eigene Lernkurve, das eigene Umfeld.

Natürlich besteht da immer die Gefahr, dass man ab und zu ein paar bescheuerte Fragen beantworten muss. Vor ein paar Jahren wollte mal jemand von mir wissen, ob ich denn mein erstes Buch „Die wunderbare Welt der Franzi“ nennen werde. DIE WUNDERBARE WELT DER FRANZI. WAS ZUM GEIER?!!!

Ich lächelte verhalten und dachte: Du blödes Arschloch. Die Frage klang wie ein Angriff, wie ein Vorwurf, mein Gehirn übersetzte das ganze mit „Warum bist du eigentlich so sonderbar?“ Warum bist du so eine trübe Tasse, warum schreibst und liest du so viel, warum sieht man dir den Zweifel manchmal an, warum gerätst du manchmal ins Stocken? Warum lebst du in deiner eigenen Welt? Warum machst du dir Gedanken darüber, wie du deine Zeit nicht an der Kühltheke verschwendest?

Weil es vielleicht mein gutes Recht ist. Und dasselbe gilt für dich. Also hör auf, deine Arschbacken zusammen zu kneifen und frag dich ab und zu vorm Schlafen gehen mal, nach welchen idiotischen Regeln einer anderen Person oder Gruppe du lebst und wie lange du das noch durchziehen möchtest.

Und wenn du jemanden zum Reden suchst, dann bring Baguette mit, ich besorge den Käse und dann sprechen wir mal darüber, wie schön das ist, das eigene Gehirn als gelegentlichen Zweitwohnsitz anzumelden. Weiterhin alles Gute, eure Franziska.

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Im Porzellanladen #2

Da war diese andere Seminarteilnehmerin, vergangenen November in Berlin, die in die Runde gefragt hat, ob hier jemand twitter privat benutzt. Sie versteht den Sinn dahinter irgendwie nicht, betreut aber den Twitter-Account ihres Arbeitgebers. „Ich liebe twitter.“ war meine Antwort, und das meine ich sogar nach zehn Jahren immer noch ernst. Und dann habe ich versucht, ihr auf eine sehr umständliche Art und Weise zu erklären, was an twitter nun so toll ist. Der Wortwitz, die unterschiedlichen Menschen, die Dinge, die sich daraus entwickeln.

Meine Erläuterungen müssen sie nicht überzeugt haben. Das ist nicht verwunderlich, meine Erläuterungen überzeugen in der Regel niemanden, es ist eine meiner vielen Superkräfte, die sich irgendwann entladen werden, wahrscheinlich in einem Rhetorik-Seminar, das ich notgedrungen besuchen werde.

„Ich hab ja eigentlich genug echte Freunde im Leben.“ war ihre einleuchtende Antwort. Ich fühlte mich wie ein wunderlicher Miley-Cyrus-Fan. Immerhin durfte ich sie dann guten Gewissens unsympathisch finden. Und vielleicht hat sie twitter ja mittlerweile begriffen. Oder man hat ihr einen Job gegeben, in dem sie nicht mit dem Internet verbunden sein muss.

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Irgendwann spürt man, dass etwas anders ist. Etwas hat sich verändert und man merkt es an den neuen Wegen, die man plötzlich zurücklegt. Die Adressen, die man in das Navigationsgerät eingibt. Die Gastgeschenke. Das Verzichten darauf. Die Playlists und die Unterhaltungen, die man unterwegs führt oder nicht führt. Die Bücher, die man aus dem Regal holt, von denen man vor zwei Jahren dachte, man hätte etwas daraus gelernt, irgendetwas fürs Leben mitgenommen, und jetzt ist man nur noch froh, dass man diese „Wir können alles schaffen, wir müssen nur wollen.“-Scheiße nicht geglaubt hat.

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Ich werde in diesem Jahr keine Bastelarbeiten machen. Und auch nicht unnötig Sprit verbrauchen. Und nicht am Schreibtisch sitzen und mir unzählige Gedanken machen über all die unsichtbaren Dinge, für die ich nicht verantwortlich bin, für die ich mich aber naturgemäß häufig verantwortlich fühle, weil ich einer dieser nervigen „Könnten wir nicht und sollten wir nicht?“-Menschen bin, die immer sinnvoll, aber manchmal nutzlos sind. Ich werde mir nicht ständig den Kopf darüber zerbrechen, wer nun verantwortlich ist. Ich werde mir einen Raum schaffen, in dem ich verantwortlich bin, niemand sonst, und ich werde mich so oft wie möglich in diesem Raum aufhalten.

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Letztes Jahr ist mir dieser Spruch begegnet. Und er hat mir, neben einigen anderen Dingen, also den üblichen Verdächtigen, Katzen, Bier, frische Luft, er hat mir also ein bisschen das Leben, setzen wir es mal in Anführungszeichen, „gerettet“. Ich hab ihn seitdem an drei oder vier Menschen weitergegeben, an gute Freunde, an alte Bekannte. „Perfectionism is a serial killer.“ Er schwimmt noch an der Oberfläche, er konnte noch nicht richtig sacken, dieser Spruch, aber er geht jetzt immer öfter einfach so mit mir mit und hakt sich hin und wieder ein und wenn ich Angst habe, verrückt zu werden, schließt er einen Tab für mich.

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Vielleicht habe ich das Ehlers-Danlos-Syndrom. Das klingt so groß und so fremd. Bis vor einer Woche war ich noch ein Mensch, der zu neugierig und manchmal auch ein bisschen zu clever und hartnäckig ist und dem das Leben zu viele Puzzleteile vor die Füße geworfen hat. Ich war jemand, bei dem Angst und Mut sehr nah beieinander liegen. Sie berühren sich ständig, immer ist da sehr viel Angst und immer ist da auch sehr viel Mut. Jetzt bin ich ein Mensch, der auf Blutergebnisse wartet und bald einen CT-Termin hat. Ich bin jetzt auch jemand, der sich einen Termin beim Psychologen geholt hat. Weil ich das alles nicht alleine schaffen kann. Und auch nicht möchte. Diese Krankheit. Diese Gesellschaft. Diese ständige Frage, ob ich Teil einer Extra3-Dokumentation bin.