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Tote Menschen und stille Stunden

Eine App auf meinem Handy erinnert mich daran, Wasser zu trinken. Ich ignoriere die Mitteilungen. Letzte Woche haben sie mir noch geholfen und mich motiviert. Nach jedem Glas Wasser ein Klick auf das Pluszeichen. 8x Klicken bedeutet, der Tag war erfolgreich. Jedenfalls was den Kampf gegen das nicht vorhandene Durstgefühl betrifft. Die anderen Kämpfe sind nicht mitgemeint.

Der 81 Jahre alte republikanische Politiker Mitch McConnell vergisst während einer Pressekonferenz den Sinn seiner Existenz und muss aus dem Raum geführt werden.

Sinéad O´Connor ist tot. Die Frau, die viele nur durch ihren Hit „Nothing compares to you“ kennen und die 1992 während eines Auftritts bei Saturday Night Live vor laufenden Kameras ein Foto von Papst Johannes Paul II zerriss, um gegen Kindesmissbrauch in der Katholischen Kirche zu protestieren.

Auf Instagram schreibt der Autor Hanif Abdurraqib:

She was open in her songs, in her writing, in pleas made on the internet. The world is not equipped to hold a person´s suffering, gently or otherwise. And I find that to be an especially enraging failure. I am a broken record with this, but I truly encourage people to look within and ask yourself hard questions about your relationship with interpersonal cruelty.

In einigen deutschen Supermärkten gibt es jetzt stille Stunden. Das bedeutet, es wird in dieser Zeit auf Lautsprecherdurchsagen und Musik verzichtet, die Lichter werden gedimmt, Kassentöne reduziert und niemand räumt die Regale ein. Das hilft Menschen, die viele Umweltreize nicht gut filtern können und die sich nach dem Einkaufen häufig fühlen als wären sie gerade einen Marathon gelaufen.

Vielleicht hilft es früher oder später auch denen, die sich bisher nie gefragt haben, ob sie Umweltreize gut oder nicht so gut filtern können. Vielleicht könnte man in jedem Supermarkt das Licht dimmen.

Auf der Suche nach Brotrezepten erfahre ich über Umwege von Dingen, die mich traurig machen oder nicht interessieren.

Eine Studie hat herausgefunden, dass Hitze sich auf die mentale Gesundheit auswirkt. Eine andere Studie hat herausgefunden, dass sozial benachteiligte Kinder sich einsamer fühlen. Eine dritte Studie hat herausgefunden, dass Bäume Schatten spenden.

Es gibt einen TikTok-Trend namens „NPC Fetish“. Kein Wunder, dass uns keiner ernst nimmt.

Mein weiblicher Körper schaltet das Level „Feuchtigkeitsmangel und Suizidgedanken“ frei. Ich kenne das mittlerweile schon gut. Ich kenne das so gut, ich könnte einen Volkshochschulkurs geben mit dem Titel „Souveräner Umgang mit Suizidgedanken“. In 48 Stunden ist es vorbei.

Dann kommt das Level „Schlachthof und Improvisationstheater“. Die Frauen in der Werbung besuchen in dieser Phase ihres Zyklus immer Reiterhöfe, laufen mit ihren ebenfalls stark blutenden Freundinnen schnatternd über eine Wiese, tragen sich für einen Aqua-Gymnastik-Kurs ein und beenden den Tag auf einem schneeweißen Sofa bei einem Glas Lillet Wild Berry und einer Runde Raffaelo.

Meine Prioritäten sind andere. Warum eigentlich? Ich werde bis zum nächsten Mal darüber nachdenken.

Wenn man bei etsy „stickbilder waschbären“ in das Suchfeld eingibt, gibt es 233 Treffer.

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