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Dopamin und Minigolf

Seit drei Tagen beschäftigt mich ein Gedanke, der erstens irgendwie fast immer da war, der mich zweitens total erleichtert und der mich aber auch drittens ziemlich verängstigt. Ich glaube nämlich, ich bin nicht so normal wie ich immer dachte.

Ich glaube mittlerweile, ich steh gar nicht mit einem Bein in der Welt der Normalen und mit dem anderen Bein in der Welt der Nicht-Normalen, sondern ich stehe eigentlich mit beiden Beinen relativ klar und deutlich in der Welt der Nicht-Normalen, aber weil ich ab und zu so meine rhetorischen Momente und sehr viel Glück, ein winzig kleines bisschen Talent und immer wieder auch sehr viel Sichtkontakt zu den Normalen habe, ist das bisher niemandem so richtig aufgefallen und mir am allerwenigsten.

Und fragt mich jetzt besser nicht, warum ich denn dachte, dass ich normal bin und ob ich dieses Normalsein denn überhaupt definieren kann.

Ich weiß nur: Die Normalen, sie erschöpfen mich gelegentlich. Oder meine Reaktion auf ihr Normalsein erschöpft mich. Zugegeben, ich erschöpfe sie auch an verschiedenen Stellen. Ich dachte, dass ich wüsste, warum das so ist, aber ich habe nicht scharf genug nachgedacht.

Das Besondere ist, dass mir der letzte Groschen dazu nur gefallen ist wegen dem Facebook-Algorithmus. Ich hab mir das nicht ausgesucht. Superpeinlich und so 2016. 2016, als uns allen noch nicht so bewusst war, wie sehr dieser Algorithmus die Menschen spaltet und ausweidet, bis der ganze Datensatzsaft aus ihnen herausläuft. 2016, als wir noch insgeheim hofften, es gäbe wirklich so etwas wie den größten gemeinsamen Nenner. Vielleicht war das auch 2006, ich habe keine Ahnung, ich bin schließlich zerstreut.

Vor drei Tagen hätte ich das hier geschrieben, es gelesen und mir gedacht: Ganz schön wirr, das muss man nicht unbedingt veröffentlichen. Vor drei Tagen dachte ich aber auch noch, dass ich im Zweifel zu den neurotypischen Menschen gehöre, die sich einfach mal mehr anstrengen oder weniger nachdenken oder an ihrem Mindset arbeiten müssen, ohne Rücksicht auf Verluste, Umstände und Neurotransmitter.

Ich dachte, dass ich zur unteren neurotypischen Mittelschicht zähle. Oder halt zur oberen neurotypischen Unterschicht. Woran ich nie gedacht habe: Dass meine Wahrnehmung, mein Verhalten, meine Stärken und Schwächen nicht so normal und durchschnittlich und mehr oder weniger unauffällig sind, wie ich das irgendwie gerne hätte.

Seit drei Tagen freunde ich mich mit dem Gedanken an, dass meine Drehregler anders funktionieren als gedacht. Das ist kein heldenhafter Moment für jemanden, der immer gedacht hat, dass er sich eigentlich ganz gut kennt. Im Grunde stehe ich seit Jahren am Rande eines Fußballfeldes, schaue mir das Spiel (also die sozialen Gepflogenheiten) an, finde die Gruppendynamik und die Regeln etwas unverständlich und werde gelegentlich aus Versehen eingewechselt.

Im Grunde bin ich aber Minigolfer. Häufig schlage ich daneben, keine Ahnung, wer gewinnt, keine Ahnung, ob das wichtig ist. Es gibt keinen Kommentator und wenn doch, dann hört man ihn nicht. Aber es gibt eine Langnese-Eis-Tafel und es gibt immer mehrere Versuche und manchmal dauert ein Spiel vier Stunden. Wenn es regnet, stellt man sich unter. Dann gibt es Pommes, Cola und gute Gespräche. Beim Fußball kommt das kaum vor. Es wird auch weniger gebrüllt, außer bei der einen verdammten Bahn.

Es spricht vieles für Minigolf und in meinem Kopf erscheint es vollkommen logisch, möglichst viele Spiele im Fernsehen zu übertragen.

Neurodiversität und Minigolf und der Facebook-Algorithmus also. Zwischendurch eine Pandemie, ein trauriges Haustier, eine Trennung, zu viele fragwürdige Demonstrationen auf der Straße und die Frage: Wo ist mein Zuhause? Und kann das nicht die Welt sein? Also so ganz generell. Warum verteidigen und erdrücken und ersticken wir so oft das, von dem wir vor dem großen Finale doch sowieso nicht wissen können, welchen Namen wir dem ganzen geben wollen oder müssen?

Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass ich gerne mal wieder Minigolf spielen würde. Und dass ich schon immer gerne Minigolf gespielt habe.

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