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Das Abenteuerland ist tot, es lebe das Abenteuerland!

Das LaLeLu Abenteuerland in Korbach – ein Indoor-Park für Kinder – hat vor ein paar Wochen aus wirtschaftlichen Gründen seine Türen geschlossen. Bald sollen dort 400 Flüchtlinge untergebracht werden. Unter dem Facebook-Post der WLZ, die darüber berichtete, sammeln sich bereits erste kritische Stimmen. Und die sorgen sich teilweise um die Zukunft der Kinder.

Weil: Wenn das Abenteuerland weg ist, dann kann man ja mit den Kindern bald gar nichts mehr machen, dann gibt es in Korbach ja bald überhaupt nichts mehr. Dann irren da auf den Straßen im Landkreis bald viele verlorene Seelen herum. Ich bin da natürlich der falsche Ansprechpartner, weil ich gar keine Kinder habe. Die Katze oder dass man selber manchmal noch eins ist zählt ja nicht.

Ich kann mich nur an meine eigene Kindheit erinnern. Die war bombastisch und kam weitestgehend ohne diesen ganzen Aktivitätsfirlefanz aus. Was vielleicht an der guten Erziehung und der Einstellung meiner Eltern lag. Klar waren wir mal im Fort Fun, sind auf dem Pfingstmarkt Karussel gefahren, waren im Schwimmbad oder im Tierpark. Aber das sind nicht die Dinge, an die ich mich erinnere.

Ich erinnere mich an die Sonntage, weil meine Schwester und ich jeden Sonntag zu meiner Mutter ins Bett krochen und uns eine halbe Stunde lang Witze erzählten. Ich erinnere mich daran, dass mein Vater mit uns spazieren ging, uns Pfeifen schnitzte und uns etwas über den Wald erzählte. Ich erinnere mich daran, wie ich in seiner Werkstatt neben ihm stand und mich darüber freute, dass er mir ein Stück Holz und Schleifpapier gab. Ich erinnere mich an den herrschaftlichen Westflügel meiner Wolldecken-Burg im Wohnzimmer und an die rote Kiste mit den ganzen Playmobil-Figuren, die immer noch auf dem Dachboden meiner Eltern steht.

Ich erinnere mich daran, wie wir Kinderserien nachgespielt haben. An die Scherbe in der Eder, in die ich mal reingetreten bin an dem Geburtstag meiner Schwester, an dem sie mich eigentlich nicht dabeihaben wollte, weil sie da schon groß war und ich noch klein. An offene Knie erinnere ich mich und Rollschuhfahren in der Raiffeisenstraße und daran, dass wir mal die saublöde Idee hatten, direkt an der Hauptstraße Barbie zu spielen. Und wie wir unser Taschengeld aufbessern wollten, indem wir durchs Dorf zogen und Steine verkauften.

Ich weiß nicht genau, ob die Menschen auf der Welt schlimmer geworden sind und man deshalb all diese Sachen nicht mehr machen kann als Kind. Vielleicht waren unsere Eltern früher furchtloser, vielleicht hatten sie mehr Vertrauen in uns, weil sie mehr Vertrauen in die Welt hatten, die heute – mehr als zwanzig Jahre später – eine andere ist. Ich weiß auch, dass ich das alles überhaupt gar nicht bewerten kann. Ich habe nur gerade an meine eigene Kindheit gedacht. Ich war kurz ein bisschen dankbar dafür, dass ich im Jahr 2015 kein siebenjähriges Kind bin. Und hoffe, dass meine Generation viele tolle kleine Menschen in die Welt setzt, denen verdammt nochmal irgendjemand beibringt wie man Hüpfekästchen spielt und ein anständiges Stickeralbun anlegt. Ernsthaft… gibt es Stickeralben noch? Ich wünsche es mir gerade so sehr.

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Findest du das mit den Flüchtlingen „immer noch gut“?

Man fragte mich vor ein paar Tagen, ob ich das mit den Flüchtlingen „immer noch gut“ finde. Wo ja jetzt die Begrüßungs-Euphorie ein bisschen nachgelassen hat und man merkt, dass es mit Applaus an Bahnhöfen und einer Wolldecke nicht getan ist. Die Frage war natürlich etwas ungeschickt formuliert. Ich kann sie ohne zu zögern mit einem klaren „Nein!“ beantworten.

Nein, das mit diesen Flüchtlingen finde ich nicht „gut“. Wenn es nach mir ginge, dann würde auf einen Schlag alles Dumme und Böse in dieser Welt aussterben, es gäbe keine Kriege mehr, alle hätten genug zu essen und die Rüstungsindustrie hätte auch keine Daseinsberechtigung mehr. Wenn es nach mir ginge, dann gäbe es die Bundeswehr nicht und das THW und auch keine Feuerwehr, weil es nie irgendwo brennen würde, es würden nirgendwo Flüsse über die Ufer treten, keiner würde einem anderen in den Bauch schießen oder sein Land verwüsten. Wir hätten keine Probleme mit dem Klima oder mit dem Kreislauf oder mit den lästigen Begleiterscheinungen des Krieges.

Jetzt ist das aber nunmal so, dass im Jahr 2015 auf dieser Erde nicht alles so besonders gut läuft. Menschen sterben. Menschen sind auf der Flucht. Menschen verlieren ihren Verstand. Die einen sind auf Wachstum fixiert. Die nächsten sind auf ihre eigene heile Welt fixiert. Dann gibt es Leute, die sind darauf fixiert, dass das Boot auf dem sie sich gerade befinden, nicht im Ozean ersäuft. Es gibt Menschen, die wollen wortwörtlich ihren Arsch retten und es gibt Menschen, die wollen einfach nur im übertragenen Sinne ihren Arsch retten und viel zu viele sehen da keinen Zusammenhang.

Nein, das mit den Flüchtlingen finde ich nicht gut. Schlägereien in Flüchtlingsunterkünften finde ich nicht gut. Lange Schlangen finde ich nicht gut. Dass die Behörden in Deutschland mit all dem völlig überfordert sind, dass niemand sie auf diesen Wahnsinn vorbereitet hat, finde ich nicht gut. Ich würde gerne einschlafen und wenn ich morgen früh aufwache, dann darf jeder wieder ohne Angst zurück in sein Land, durch die Straße gehen, in der er aufgewachsen ist, zurück zu Freunden und Familie und zurück in das Haus, in dem er wohnt und das noch da steht wo es all die Jahre gestanden hat.

Die Antwort auf die Frage „Findest du das mit den Flüchtlingen immer noch gut?“ kann nur zynisch sein. Ich kann sie nur mit einem Kopfschütteln beantworten, mit einem Schnaufen und mit einem Schniefen. Weil die Welt gerade ihr Gleichgewicht verliert und man kann ihr dabei zusehen wie sie stolpert und hinknallt, wie sie dann da auf dem Boden liegt, auf dem Rücken wie ein Käfer und ich wünsche mir, dass mal jemand kommt – auf der Straße oder an der Kühltheke im Rewe oder in der Eisdiele – und nicht fragt ob ich etwas „immer noch gut“ finde, sondern ob es Dinge gibt, die mich wütend machen.

So wütend, dass ich zum Beispiel meinen Blutdruck steigen höre, von immer niedrigen 100 zu 70 auf 140 zu 100, das ist erhöhter Blutdruck und ich spüre ihn, wie er hinter meinen Augen etwas lostritt, wie er von innen an meinen Schädel donnert und wenn ich es nicht aufschreiben könnte, dann weiß ich nicht wie lange ich das ertragen könnte, diesen Lärm in meinem Kopf, verursacht von Leuten, die in allem Unbekannten einen Störenfried sehen.

Es macht mich wütend, dass so viele Geschichten der letzten Wochen beginnen mit „Ich hab gehört, dass…“ Es macht mich wütend, dass Leute ihre Zeit lieber mit leblosen Geschwätz totschlagen, anstatt sich mal wenigstens eine halbe Stunde lang für das zu interessieren, was außerhalb ihrer Blase so passiert. Ich verstehe das nicht, dass man mit dem Finger auf andere Kulturen zeigt, dass man einfach alles Unbekannte in eine Schublade setzt und die Schublade dann zuschlägt und zuschließt und den Schlüssel achtlos irgendwo hinlegt, wo man ihn wahrscheinlich so leicht nicht wiederfindet, weil man keine Lust hat, sich näher damit zu befassen.

Es gibt Leute, die halten sich offenbar für die Krone der Schöpfung, für zivilisiert und anständig, während sie hier in Deutschland in ihren Häusern sitzen und so vor sich hindämmern in diesem wunderbaren Land, das berühmt ist für seine tollen Autos und den Fußball und die Dichter und Denker. Jede Gelegenheit, den eigenen Blickwinkel zu korrigieren, wird achtlos beiseite geschoben oder überhaupt nicht wahrgenommen und alles wird begründet mit Angst, Angst, Angst und Meins, Meins, Meins. Als wäre Deutschland eine Insel.

Vielleicht stellt und beantwortet ihr euch, in einer ruhigen Minute, mal ein paar Fragen. Wo kommt ihr her? Was ist eure Geschichte? Aus welchem Grund seid ihr hier? Schlagt ihr hier einfach nur Zeit tot? War´s das? Oder kommt da noch was?

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Mittagspause

Wenn man nahe genug am Fenster steht und sich dann bückt, dann verschwinden die beiden Häuser auf der rechten Seite aus dem Blickfeld und man nimmt abgesehen von dem Braun des Holztisches auf dem kleinen Balkon und dem schmutzigen Grau des Steinbodens nur noch zwei Farben intensiv wahr. Wenn man nicht so genau hinschaut, löst sich auch die Straßenlampe in Luft auf. Das Bild besteht dann zu zwei Dritteln aus einer laubgrünen Wand zum Nachbargrundstück mit den Bäumen dahinter und einem Drittel Himmel.

Manchmal tut der Wind dir dann noch einen letzten Gefallen und fährt über die Hecke hinweg, durch Zweige und Blätter, ein dumpfes Rauschen, das angenehmste Geräusch des Tages. Dann wird man ruhig, ganz automatisch, und man richtet den Blick nicht nach innen und auch nicht nach außen, sondern versucht ihn genau in der Mitte zu halten, hält für einen kurzen Moment die Balance, ungefähr an der Stelle, die normalerweise als erstes mit Augentropfen in Berührung kommt.

Wenn man nahe genug am Fenster steht, dann vergisst man, dass die Welt nicht nur aus drei oder vier perfekt aufeinander abgestimmten Farbtönen besteht und nicht nur aus gedämpften Hintergrundrauschen. Man vergisst den Ameisenhaufen, das grelle, das blutrote, das tiefschwarze Durcheinander, man vergisst die unangenehmen Begleiterscheinungen, den Lärm, das Kratzen der Fasern auf der Haut, die schlechten Nachrichten.

45 Minuten lang steht man da, lauscht, tankt irgendwie wieder auf, und schafft es manchmal, dieses friedliche Gefühl noch ein Stück weit aus der Wohnung rauszuschmuggeln, in einem Seitenfach der Handtasche, hinein in den Rest des Tages, wo es einem dann beruhigend im Nacken sitzt und daran erinnert, dass man seinen Puls jederzeit aus eigener Kraft nach unten korrigieren kann.