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Besorgten Bürgern begegnen

Wir müssen ja nicht auf die Straße gehen. Wir müssen keine Banner basteln und mit Sprechchören durch die Straßen ziehen. Wann sollten wir das auch machen? Wir haben Jobs, wir haben unsere Familien, wir müssen einkaufen und Zahnarzttermine wahrnehmen und wir müssen zur Post und Einkaufslisten schreiben und wichtige Telefonate führen. Vorsorgechecks. Stirnfalten. Hausordnung. Retweet. Immer so weiter.

Wir müssen nicht auf die Straße gehen. Wir müssen uns nicht organisieren und die ganzen Idioten da draußen niederschreien. Wir brauchen keine Facebook-Gruppe, keine Whatsapp-Gruppe, keinen Hashtag auf twitter oder instagram oder sonstwo. Wir müssen nicht auf die Straße gehen, aber wir müssen reagieren, jeder einzelne von uns, beim Kaffeetrinken, an der Kühltheke, im Bus, in Fußgängerzonen, in Wartezimmern. Wenn wir in der Schlange stehen. Wenn wir außer Atem sind. Beim Einchecken. Beim Auschecken.

Wenn jemand in unserer Nähe mit einem Brett vor der Stirn herumläuft, sollten wir nach einem Schraubenzieher in der Tasche tasten und wenn wir ihn nicht finden, dann können wir zuhause danach suchen und uns so einen kleinen Reise-Schreibenzieher bereit legen. Die gibt es ja. Reise-Föhne gibt es für die Wärme und Reise-Schraubenzieher für die Bretter vor unseren Köpfen.

Und wenn sich dann herausstellt, dass derjenige unbelehrbar und gefährlich ist, dann können wir immer noch aufstehen und gehen, vielleicht zu einem, der nicht ganz so unbelehrbar und gefährlich ist.

Aber lasst uns das nicht einfach mit den Schultern wegzucken. Lasst uns Löcher in diese Menschen hineinstarren und versuchen, ihre Angst vor dem großen Unbekannten zu ergründen. Nicht verstehen, manchmal geht das einfach nicht. Aber ergründen. Fragen, was nach der Angst kommt. Ob alle Probleme denn gelöst sind, wenn nächste Woche ganz viele Busse kommen und alle fremden Gesichter einsammeln und wegfahren würden. Ob dann die eigenen Kinder freundlicher sind. Der Chef besser gelaunt. Die Wohnung aufgeräumter. Die Augen weniger kurzsichtig. Das Leben mehr Ponyhof.

Wir müssen nicht alle auf die Straße gehen, aber wenn wir doch schonmal da sind, weil wir gerade mit dem Hund Gassi gehen oder noch Milch brauchen oder einen banalen Grund suchen, einfach mal die Wohnung zu verlassen, wenn wir also schonmal da sind, dann können wir vielleicht mal eine Weile da stehen bleiben, da draußen, ohne wlan, und innehalten und gucken ob da einer kommt – einer von denen, die ernsthaft glauben, dass sie zu den „ganz Normalen“ gehören.

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