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Realität – Ofenkäse = Sehnsucht

Ich war gestern eine von fünf Personen, die bei #mimimimi mitmachen durften. Das ist der Titel einer Lesung, die seit 2013 in Bonn von Sylvia Rang und Johannes Mirus organisiert wird. Es war in vielerlei Hinsicht ein richtig toller Abend, darüber werde ich aber hoffentlich bis morgen Abend noch etwas schreiben. Der Text, den ich vorgelesen habe, ist eine Mischung aus Gedanken, die ich mir vor mehr als einem Jahr nach einem Einkauf bei Rewe mal gemacht, aber nie „ins Reine geschrieben“ habe, und einem alten Blogbeitrag, den ich im Februar 2017 veröffentlicht habe. 

Letzte Woche stand ich unfreiwillig lange im Rewe vor dem Kühlregal. Ich hatte den Laden betreten in der Hoffnung, mal eben schnell innerhalb von fünf Minuten Ofenkäse zu kaufen. Ich verließ ihn wieder mit der Erkenntnis, dass der Ofenkäse ausverkauft ist und dass die Welt mehr den je auf ganz normale, harmlose Menschen wie mich angewiesen ist.

Ausverkauften Ofenkäse gab es in meinem Leben bisher nicht und ich sage euch, ich habe schon einiges erlebt. Ausverkauftes Trockenshampoo zum Beispiel. Oder dass es die mittelharten Zahnbürsten nicht mehr in meiner Lieblingsfarbe Hellblau gibt, dafür aber viele weiche grüne und einige harte Rote.

Ich tat dann, nachdem ich zehn Minuten lang meine Stirn in nachdenkliche Falten gelegt hatte, etwas für mich vollkommen natürliches: Ich kaufte Fischstäbchen, ging zum Auto und stellte mir die entscheidende Frage. Warum gibt es einen Rewe-Lieferdienst, aber keine App, die mir Bescheid sagt, dass der Ofenkäse ausverkauft ist? Weil, man könnte so viel bewirken in der Welt, wenn man nicht immer unnötig vorm Kühlregal herumsteht.

Folgendermaßen könnte das ablaufen.

Montag: Der Rewemarkt bekommt haufenweise Ofenkäse, der von entspannten Verkäuferinnen in das dafür vorgesehene Kühlregal gelegt wird. Irgendeine künstliche Intelligenz registriert, dass im Kühlregal 10 Ofenkäse liegen und sich weitere 20 im Lager befinden.

Dienstag: Sechs Leute haben Ofenkäse gekauft. Die künstliche Intelligenz schickt eine Nachricht an die für Nachschub zuständige Person oder eine andere künstliche Intelligenz, damit das Regal wieder aufgefüllt wird.

Mittwoch: Weitere 23 Personen, denen ihre Gesundheit vollkommen gleichgültig ist, kaufen Ofenkäse. Zeitgleich kehren einige Kardiologen aus ihrem wohlverdienten Sommerurlaub zurück.

Donnerstag: Die Ofenfrische mit Thunfisch ist heute im Angebot. Kein Mensch interessiert sich für den Ofenkäse.

Freitagmorgen: Irgendein selbstsüchtiges Arschloch betritt den Rewe und nimmt den allerletzten Ofenkäse. Die künstliche Intelligenz sendet ein Signal an die intuitiv bedienbare, megacoole App rewe buy & chill.

Ich habe die App auf meinem Handy installiert und natürlich mit fünf Sternen bewertet, weil sie mir den Alltag wirklich sehr erleichtert. Sie schickt mir nicht nur Angebote, sie gibt mir auch die Möglichkeit, mich mit attraktiven Rewe-Kunden in meinem Umfeld zu vernetzen, die zum Beispiel die gleichen Teesorten und Marmeladen oder Brötchenhälften mögen wie ich.

Doch die allertollste Funktion kennt ihr noch gar nicht.

Denn: Am Freitagnachmittag einigen mein Komplize und ich uns darauf dass es heute Abend Ofenkäse gibt. Ich öffne meine megacoole rewe buy & chill App, die mir den Alltag wirklich sehr erleichtert, und gebe „ofenkäse“ in das Suchfeld ein. Auf meinem Display erscheint daraufhin der Hinweis, dass es in meinem Lieblings-Supermarkt heute keinen Ofenkäse mehr gibt, ich aber die Möglichkeit habe, eine Alternative zu kaufen. Camembert zum Beispiel. Davon gibt es noch fünfzehn Packungen. Oder ich kaufe den Ofenkäse in einem anderen 7 km entfernten Supermarkt, kann ihn dort sogar für die nächsten 2 Stunden reservieren. Ernsthaft. So toll ist diese App!

Vielleicht entscheide ich mich auch für etwas ganz anderes. Zum Beispiel könnte ich mit den Resten daheim noch eine Mahlzeit kochen. Ich öffne die total praktische Resteessen-Funktion, die seit dem letzten Update wirklich einwandfrei funktioniert und erhalte zunächst eine Push-Nachricht, in der ich gefragt werde, ob ich immer noch eine Nussallergie habe und was mit der halb angefangenen Packung Haselnüsse passieren soll, die in der Schublade neben den Muffin-Förmchen liegt.

Ich habe die Möglichkeit, es zu ignorieren, einen Termin beim Ernährungsberater zu machen oder mir von einer Drohne ein Anaphylaxie-Notfallset vorbeibringen zu lassen. Das kann die App alles. Deshalb bezahlt man dafür auch 4,99 Euro.

Was ich sagen will: Natürlich möchte ich nicht, dass Rewe, oder die AOK oder mein Stromanbieter Zugriff auf alles haben, was in meiner Küche passiert. Natürlich möchte ich nicht für Ofenkäse zum gläsernen Bürger werden. Natürlich möchte ich nicht fünf Minuten Zeitersparnis gegen Totalüberwachung eintauschen.

Aber wäre es nicht herrlich, wenn wir so langsam mal an einen Punkt kämen, an dem die Möglichkeiten der Digitalisierung uns im Alltag wirklich etwas zurückgeben würden?
Wie viele Formulare sollen wir noch runterladen, ausdrucken, ausfüllen und zur Post bringen? Welche Berge müssen wir versetzen, wie viele halbe Tage Urlaub nehmen, damit der verdammte Sperrmüll abgeholt, unser Nebengewerbe angemeldet oder der Förderantrag genehmigt ist?  

Und wie kann es sein, dass so wahnsinnig viele Menschen, vor allem ältere Generationen in der Provinz, damit viel entspannter umgehen als ich? Die Antwort liegt auf der Hand: Sie kennen es nicht anders. Und sie ahnen nicht, dass sie es möglicherweise verdient haben, ein bisschen Zeit und Energie zu sparen.

Und sie wüssten vielleicht auf Anhieb auch gar nicht, was sie mit der gewonnenen Zeit und Energie anstellen. Der leere Raum würde sie verunsichern. Solche Leute gibt es. Vielleicht nicht so viele hier in Bonn, aber da wo ich lebe, gibt es Menschen, die so Sätze sagen wie “Ich hab jetzt drei Wochen Urlaub. Nach fünf Tagen wird mir bestimmt die Decke auf den Kopf fallen.” Oder: “Warum willst du dir einen Staubsauger-Roboter kaufen? Hast du zuviel Geld?!”

Ich hab nicht zuviel Geld. Ich hab zu wenig Zeit. Ich will spazieren gehen und ein Instrument lernen und die Schneegänse beobachten und Malkurse besuchen und Kurse in gewaltfreier Kommunikation, damit ich nicht immer alle Leute beleidigen muss, und ich will mich über Garten-und Landschaftsbau informieren, gründlich, und mich einer Pfadfindergruppe anschließen und natürlich will ich auch programmieren lernen, wegen der App für Rewe.

Ich will – vereinfacht gesagt – nicht ständig mit Fragezeichen im Kopf vorm Kühlregal herumstehen.  Ich will ab und zu in meiner eigenen Welt leben. Und damit wirke ich natürlich wie ein komischer Vogel in den Augen derjenigen, die sich ihrer eigenen Zeitverschwendung und Freizeitpassivität gar nicht bewusst sind.

Vor einer Weile habe ich einen Text geschrieben, der vielleicht veranschaulichen kann, warum es durchaus ok ist, hin und wieder in seiner eigenen Welt leben zu wollen und sich deshalb über vergeudete Zeit im Alltag aufzuregen.

In dem sehr empfehlenswerten Film „The Departed“ sagt Mafiaboss Frank Costello, gespielt von Jack Nicholson, ganz am Anfang einen sehr schönen Satz: Ich möchte nicht das Produkt meiner Umwelt sein. Ich möchte, dass meine Umwelt ein Produkt von mir ist.

Nun ist dieser Mensch in dem Film nicht gerade ein Vorbild für gutes Benehmen, aber unabhängig davon können wir uns diesen schlauen Satz trotzdem ruhig mal etwas näher anschauen. Dahinter verbirgt sich nämlich ein riesengroßes Missverständnis. Nämlich, dass es pauschal erstmal verdächtig ist, in seiner eigenen Welt zu leben oder seine Umwelt zu beeinflussen, statt sich von ihr beeinflussen zu lassen.

Als Kind und Jugendliche war es mir oft eine Freude, Erwachsenengespräche zu verfolgen. Ich saß wortlos auf dem Sofa, nippte am Kakao und lauschte und lernte. Hin und wieder unterhielten sich die großen Menschen über andere mir fremde Personen. Den Freund von einer Freundin oder die Tante XYZ oder die neuen Nachbarn. Und in ihren Worten klang immer ein bisschen Geringschätzung mit, wenn sie den Satz sagten, um den es mir geht: „Der lebt halt in seiner eigenen Welt.“

Man spürte, derjenige wurde irgendwie toleriert, neugierig beäugt, immer höflich auf Abstand gehalten. Oft ging es um unausgesprochene Regeln, um Konventionen, mit denen angeblich gebrochen wurde, um „so Künstlertypen“. Und wir sprechen hier nicht von Leuten, die in irgendeinem Baumhaus außerhalb des Dorfes leben, sich nicht die Haare waschen und zuhause einen Hildegard-Orgon-Akkumulator neben ihren Staffeleien stehen haben. Wir reden von Menschen, denen einfach nur nicht so schnell langweilig wird. Die etwas mit sich anzufangen wissen. Die die Frechheit besitzen, ab und zu mal in ihrer eigenen Welt zu leben.

Weil: Wo wollen wir denn sonst leben, wenn nicht in unserer eigenen Welt? Warum ist „Du lebst in deiner eigenen Welt“ nicht ganz offiziell eines der schönsten Komplimente, die man einem anderen Menschen machen kann? Sind Leute, die nach ihren eigenen Maßstäben leben, nicht eine Wohltat? Also, mal abgesehen von Donald Trump und Horst Seehofer, die leben ein bisschen zu sehr nach ihren eigenen Maßstäben.

Brauchen wir in Zukunft nicht mehr ganz normale Menschen, die sich Gedanken darüber machen, in welcher Welt sie einmal leben wollen? Sollen wir uns stattdessen in der Welt einer anderen Person einrichten? Ihr vielleicht auch noch die volle Verantwortung für unser Leben geben? Stehe ich dann jeden Morgen auf und warte darauf, dass mir jemand eine Bedienungsanleitung für mein eigenes Leben neben mein Kopfkissen legt, während ich zum neunten Mal die Snooze Taste drücke?

Und werde ich dann motzig, wenn Wochenende ist, und mir das Programm nicht gefällt, um das ein anderer sich bereitwillig gekümmert hat?

In seiner eigenen Welt leben – das ist eine gute Sache. Nicht pausenlos, nicht unter allen Umständen und ohne Rücksicht auf Verluste, aber so oft wie möglich, immer mal wieder, mit kleinen Unterbrechungen. Das ist nicht egoistisch, das ist verantwortungsbewusst. Es geht um Verantwortung für das eigene Leben, die eigene Lernkurve, das eigene Umfeld.

Natürlich besteht da immer die Gefahr, dass man ab und zu ein paar bescheuerte Fragen beantworten muss. Vor ein paar Jahren wollte mal jemand von mir wissen, ob ich denn mein erstes Buch „Die wunderbare Welt der Franzi“ nennen werde. DIE WUNDERBARE WELT DER FRANZI. WAS ZUM GEIER?!!!

Ich lächelte verhalten und dachte: Du blödes Arschloch. Die Frage klang wie ein Angriff, wie ein Vorwurf, mein Gehirn übersetzte das ganze mit „Warum bist du eigentlich so sonderbar?“ Warum bist du so eine trübe Tasse, warum schreibst und liest du so viel, warum sieht man dir den Zweifel manchmal an, warum gerätst du manchmal ins Stocken? Warum lebst du in deiner eigenen Welt? Warum machst du dir Gedanken darüber, wie du deine Zeit nicht an der Kühltheke verschwendest?

Weil es vielleicht mein gutes Recht ist. Und dasselbe gilt für dich. Also hör auf, deine Arschbacken zusammen zu kneifen und frag dich ab und zu vorm Schlafen gehen mal, nach welchen idiotischen Regeln einer anderen Person oder Gruppe du lebst und wie lange du das noch durchziehen möchtest.

Und wenn du jemanden zum Reden suchst, dann bring Baguette mit, ich besorge den Käse und dann sprechen wir mal darüber, wie schön das ist, das eigene Gehirn als gelegentlichen Zweitwohnsitz anzumelden. Weiterhin alles Gute, eure Franziska.

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Porzellanladen

Im Porzellanladen #2

Da war diese andere Seminarteilnehmerin, vergangenen November in Berlin, die in die Runde gefragt hat, ob hier jemand twitter privat benutzt. Sie versteht den Sinn dahinter irgendwie nicht, betreut aber den Twitter-Account ihres Arbeitgebers. „Ich liebe twitter.“ war meine Antwort, und das meine ich sogar nach zehn Jahren immer noch ernst. Und dann habe ich versucht, ihr auf eine sehr umständliche Art und Weise zu erklären, was an twitter nun so toll ist. Der Wortwitz, die unterschiedlichen Menschen, die Dinge, die sich daraus entwickeln.

Meine Erläuterungen müssen sie nicht überzeugt haben. Das ist nicht verwunderlich, meine Erläuterungen überzeugen in der Regel niemanden, es ist eine meiner vielen Superkräfte, die sich irgendwann entladen werden, wahrscheinlich in einem Rhetorik-Seminar, das ich notgedrungen besuchen werde.

„Ich hab ja eigentlich genug echte Freunde im Leben.“ war ihre einleuchtende Antwort. Ich fühlte mich wie ein wunderlicher Miley-Cyrus-Fan. Immerhin durfte ich sie dann guten Gewissens unsympathisch finden. Und vielleicht hat sie twitter ja mittlerweile begriffen. Oder man hat ihr einen Job gegeben, in dem sie nicht mit dem Internet verbunden sein muss.

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Irgendwann spürt man, dass etwas anders ist. Etwas hat sich verändert und man merkt es an den neuen Wegen, die man plötzlich zurücklegt. Die Adressen, die man in das Navigationsgerät eingibt. Die Gastgeschenke. Das Verzichten darauf. Die Playlists und die Unterhaltungen, die man unterwegs führt oder nicht führt. Die Bücher, die man aus dem Regal holt, von denen man vor zwei Jahren dachte, man hätte etwas daraus gelernt, irgendetwas fürs Leben mitgenommen, und jetzt ist man nur noch froh, dass man diese „Wir können alles schaffen, wir müssen nur wollen.“-Scheiße nicht geglaubt hat.

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Ich werde in diesem Jahr keine Bastelarbeiten machen. Und auch nicht unnötig Sprit verbrauchen. Und nicht am Schreibtisch sitzen und mir unzählige Gedanken machen über all die unsichtbaren Dinge, für die ich nicht verantwortlich bin, für die ich mich aber naturgemäß häufig verantwortlich fühle, weil ich einer dieser nervigen „Könnten wir nicht und sollten wir nicht?“-Menschen bin, die immer sinnvoll, aber manchmal nutzlos sind. Ich werde mir nicht ständig den Kopf darüber zerbrechen, wer nun verantwortlich ist. Ich werde mir einen Raum schaffen, in dem ich verantwortlich bin, niemand sonst, und ich werde mich so oft wie möglich in diesem Raum aufhalten.

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Letztes Jahr ist mir dieser Spruch begegnet. Und er hat mir, neben einigen anderen Dingen, also den üblichen Verdächtigen, Katzen, Bier, frische Luft, er hat mir also ein bisschen das Leben, setzen wir es mal in Anführungszeichen, „gerettet“. Ich hab ihn seitdem an drei oder vier Menschen weitergegeben, an gute Freunde, an alte Bekannte. „Perfectionism is a serial killer.“ Er schwimmt noch an der Oberfläche, er konnte noch nicht richtig sacken, dieser Spruch, aber er geht jetzt immer öfter einfach so mit mir mit und hakt sich hin und wieder ein und wenn ich Angst habe, verrückt zu werden, schließt er einen Tab für mich.

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Vielleicht habe ich das Ehlers-Danlos-Syndrom. Das klingt so groß und so fremd. Bis vor einer Woche war ich noch ein Mensch, der zu neugierig und manchmal auch ein bisschen zu clever und hartnäckig ist und dem das Leben zu viele Puzzleteile vor die Füße geworfen hat. Ich war jemand, bei dem Angst und Mut sehr nah beieinander liegen. Sie berühren sich ständig, immer ist da sehr viel Angst und immer ist da auch sehr viel Mut. Jetzt bin ich ein Mensch, der auf Blutergebnisse wartet und bald einen CT-Termin hat. Ich bin jetzt auch jemand, der sich einen Termin beim Psychologen geholt hat. Weil ich das alles nicht alleine schaffen kann. Und auch nicht möchte. Diese Krankheit. Diese Gesellschaft. Diese ständige Frage, ob ich Teil einer Extra3-Dokumentation bin.

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Kopf

Was mich aufregt – eine unvollständige Liste

Das Belächeln von Menschen, die sich manchmal selbst genügen. Oberärzte, die aus dem OP geholt werden, um die Frage zu beantworten, in welchem Fall Insektenstiche über die Berufsgenossenschaft abgerechnet werden. Die ungläubigen Blicke, wenn man sagt, dass man die Bachelor-Kandidatin leider nicht kennt, weil man den Fernsehanschluss daheim nicht benutzt.

Rentner, die verwundert gefragt werden, warum sie denn ausgerechnet jetzt, wo sie so viel Zeit haben, Bürgermeister werden wollen. Marie Kondos nett gemeinter Hinweis dazu, wie man mit runden Dingen verfährt, die man in eckige Schränke räumen möchte. Der gebildete Linke, der im Dorfgemeinschaftshaus grundsätzlich einer Diskussion mit dem ungebildeten Rechten aus dem Weg geht. Das ewig gleich klingende Bedauern nationaler und internationaler Politiker auf twitter, wenn irgendwo etwas schreckliches passiert ist. Feministinnen, die für alle Frauen sprechen wollen, ohne für alle Frauen sprechen zu können.

Die Umstände, die wir uns selber machen, die wir tolerieren, an denen wir festhalten. Die Sätze, die ich mir gelb markiert hab. Die nicht geballten Fäuste der anderen. Das Tief, das Hoch, die dazu passenden Kopfschmerzen. Die Suppe, die jeder für sich kocht, und die dann dementsprechend scheiße schmeckt. Die nicht erzählten Geschichten. Die Erschöpfung, die eintritt, bevor man überhaupt den ersten Schritt gemacht hat.

Die guten Momente, die in Vergessenheit geraten, weil niemand dabei war, der rechtzeitig auf den Auslöser gedrückt hat.

Man rät uns häufig, dass wir uns nicht immer so schnell im Recht fühlen sollen. Dass wir die Dinge sowieso nicht ändern können. Dass wir gar nicht so schlau sind, wie wir denken. Dass die Blase, in der wir leben, uns glauben lässt, wir würden auf der richtigen Seite stehen. Aber ich kann den Gedanken manchmal nicht schnell genug abschütteln. Er ist zu verlockend. Gerade eben, zwischen dem Öffnen der Kühlschranktür und dem Schließen der Rollläden, war ich mir für einen ganz kurzen Moment vollkommen sicher, trotz dieser bleiernden Müdigkeit der klügste Mensch auf diesem verdammten Erdball zu sein. Die einzige Person, die eine ungefähre Ahnung von all den Grauzonen hat, die das Leben uns anbietet. Bis sich dann die Kühlschranktür wieder schließt.

Davon träumen, wie es wäre, aus der Haut zu fahren bis sie platzt. Am nächsten Morgen wieder nur ein paar weitere harmlose Dehnungsstreifen am Körper entdecken.

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Kopf

Selbstmitleid – eine Anleitung

Nimm alles mit. Nimm es mit nach Hause, gewöhn dich daran, dass die Gesichter von Menschen dir manchmal auf dem Nachhauseweg begegnen, grenz dich nicht ab, nimm alles auf, was andere gerade erleben, auch wenn du ihre Namen vergessen hast. Nimm jeden verdammten Grauton mit, jede Falte, jedes Stirnrunzeln, zieh Kleidung an mit vielen Taschen, damit du jede Regung einpacken und irgendwo unterbringen kannst und frag nicht, was du jetzt damit anfangen sollst, ob das sinnvoll ist, ob du das überhaupt gebrauchen kannst. Fühl dich einfach dafür zuständig, wie jemand, der solche Dinge schon immer so gemacht hast, ließ aufmerksam jeden Artikel, der dich vor den Folgen warnt und vergiss anschließend jedes einzelne Wort.

Leg dich hin, wenn es weh tut, nimm ein Pflaster, lass dir eine Spritze geben oder dich krank schreiben. Und tu so als würde die Zeit, in der wir leben, dir nur manchmal ein bisschen in die Knochen fahren und nicht auch an den Fensterläden rütteln, die zu dem Raum gehören, in dem du dich am liebsten aufhältst.

Benimm dich wie jemand, dem die Worte nicht fehlen. Zeig dich solidarisch mit den armen Schweinen, die nicht wissen wollen, was sie glücklich macht, weil ihnen nie einer gesagt hat, dass das ihr gutes Recht ist.

Geh davon aus, dass jeder Gedankenlesen kann, niemand dich ausnutzt und alles eine Bedeutung hat. Sei naiv, sei perfektionistisch, sei launisch. Schreib ein nettes Gedicht darüber, wie stolz du darauf bist, dass du nie naiv, fast gar nicht perfektionistisch und sehr selten launisch bist.

Spende all dein Blut, ohne dass es irgendetwas bewirkt. Denk jeden Tag darüber nach, aber mach es einfach nicht. Vergiss jedes Wort, gib den falschen Dingen den richtigen Namen. Geh nicht ins Detail, halt dich nah am Eingang auf, lehn dich mit dem Rücken an die Wand, fühl dich unter Druck gesetzt, halte zehn Meter Abstand zu den Leuten, denen du im Nacken sitzen möchtest.

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Nachgefragt

Nachgefragt #2

Gibt es Brieffreundschaften noch? Warum hab ich die Idee, grundsätzlich zu „Heaven is a place on earth“ mit einem Taschenventilator in der Hand Bürogebäude zu betreten, noch kein einziges Mal in die Tat umgesetzt? Bist du die Ursache oder das Symptom oder vielleicht sogar beides? Werden die Darsteller ausgewechselt, während sich Geschichten wiederholen und kann man den Text von damals noch auswendig aufsagen?

Ist man erwachsen, wenn man von lieblichen auf halbtrockenen Weißwein umsteigt? Was bedeutet Erwachsensein überhaupt? Hat es was mit Heckenschneiden zu tun? Mit Formularen, die man ausfüllen muss? Mit unschönen Machtspielen zwischen rationalen und irrationalen Vorstellungen vom Leben? Warum verstehen viele angeblich so intelligente Menschen nicht den Unterschied zwischen Verbindlichkeiten und Vermögenswerten? Ist es schon zu spät für vernünftige Sparpläne? Wie fließend verlaufen die Grenzen zwischen Burn Out und Charakterschwäche? Können Pflanzen Leben retten? Was ist denn eigentlich gegen Spaziergänge einzuwenden? Wie viel Gutes steckt in dem Wort Ent-Täuschung?

Darf man Jahre später drauf zurück kommen? Können wir uns darauf einigen, dass man von jedem einzelnen Menschen irgendetwas lernen kann? Wo kommt man raus, wenn man alles hinterfragt? Bei sich selbst? Muss uns das Sorgen machen? Warum bedecken wir nicht einfach alles mit Mango-Chutney? Warum verpflichtet niemand Männer zum Bart-Tragen? Was muss ich heute tun, welche Entscheidungen treffen, welche Pläne in die Tat umsetzen, um irgendwann auch nur annähernd so cool zu sein wie Helen Mirren?

Was würde Axel F. tun? Wer trägt die Verantwortung? Wer räumt den Müll weg? Ist das System Schuld oder der einzelne oder läuft es am Ende auf beides hinaus? Wenn du die Welt plötzlich mit anderen Augen betrachtest, kneifst du sie dann zusammen oder reißt du sie weit auf oder besorgst du dir Augentropfen oder eine neue Brille oder wünscht du dir deine alten Augen zurück?

Endet dein Körper da wo man sieht dass er endet oder endet er ein paar Zentimeter weiter vorn und lehnt sich manchmal im toten Winkel an den Körper eines anderen?

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Porzellanladen

Herzlich Willkommen bei Mc Donalds, Ihre Bestellung bitte!

Manchmal, wenn es schnell gehen muss, gibt es bei uns Hühnernudeltopf von Erasco. Oder Hawaii-Toast. Ich bin Fan von Hawaii-Toast, denn er ist schnell zubereitet und die Ananas hat auf mich eine beruhigende Wirkung. “Seht her!” lautet die Botschaft “Es gibt jetzt Ananas, ich stehe kurz vor einer Saftkur, ich hab noch nicht die Kontrolle über mein Leben verloren!”

Leider hält die beruhigende Wirkung nicht besonders lange an. Man ist ja nicht dumm, man kriegt ja so allerhand mit. Kohlenhydrate soll man abends nicht mehr essen, Ananas aus der Dose ist ein Scherz, das Gluten im Toast wird meinen Stoffwechsel verwüsten und der Käse stammt aus dem Reagenzglas und wird meine Magenschleimhaut verätzen.

Vor ein paar Monaten hat die WHO dann auch zu allem Überfluss noch herausgefunden, dass Fleisch ab einer gewissen Menge lebensgefährlich sein kann. Es ist leicht, sich heutzutage schlecht zu ernähren. Kurz nicht aufgepasst und schon richtet man mit einem unbedacht zubereiteten Nudelauflauf seinen Körper zugrunde.

Schon morgens bei der allerersten Mahlzeit des Tages kann man eine Menge falsch machen. Erinnert sich noch jemand an Nutellabrote und Trinkpäckchen? Grundnahrungsmittel jedes Grundschulkindes. War das nicht eine wunderschöne Zeit? Leben am Limit, wir hätten jederzeit an Skorbut sterben können. Das ist lange her. Helmut Kohl war noch Kanzler. Man wurde älter, ging zu Müsli über, griff schließlich zu Obstsalat, bis die Fruktose uns ein Loch in den Bauch ätzte.

Einer der Gründe, weshalb ich die 90er manchmal ein bisschen vermisse, ist, dass man damals weniger mit Ernährungsempfehlungen bombardiert wurde. Wir kannten die Grundlagen, Avocados waren uns scheißegal, wir hatten ja nicht mal einen Busen, wir wussten nur: Chips sind ungesund. Tütensuppe ist ungesund. Cola ist ungesund.

Zehn Überraschungseier kaufen, die Schokolade aufessen und sich dann darüber aufregen, dass in keinem einzigen Ei ein Happy Hippo ist – auch ungesund (Die Geschichte habe ich mir ausgedacht. Ich kann mich jedenfalls nicht daran erinnern, jemals an einem schönen warmen Sommertag all diese Überraschungseier bei Edeka Buckert gekauft und sie dann 50 Meter weiter auf einer Bank 200 m von unserem Haus entfernt alle ausgepackt und aufgefressen zu haben).

Theoretisch würde es ausreichen, sich an die Grundlagen von damals zu halten. E-Nummern meiden. Die uralte Angst vor dem Frühstücksei überwinden. Weniger Alkohol trinken, dafür mehr Wasser. Aber das ist gar nicht so einfach, wenn man tausend andere Dinge im Kopf hat, von denen man glaubt, dass sie irgendwie wichtiger sind.

Einige sagen, dass der Körper weiß, was er benötigt. Der Körper spürt instinktiv, woran es ihm gerade mangelt und sendet dann dementsprechend Signale aus, man bekommt dann beispielsweise Hunger auf Nahrungsmittel, in denen viel Eisen oder Magnesium steckt oder die besonders eiweißreich sind. Ein schöner, ein tröstlicher Gedanke.

Mein Körper lässt sich darauf allerdings bisher noch nicht ein. Er funktioniert da irgendwie anders. Irgendwie… ich weiß nicht… weniger komplex. Er steigt morgens aus dem Bett und trifft dann einfach irgendeine Entscheidung: Franziska, heute brauchen wir keine Nährstoffe, heute brauchen wir Liebe, es gibt Pizza. Und dann lässt er sich in den nächsten zwölf Stunden auch nicht mehr umstimmen.

Manchmal würde ich gerne jede Ernährungsempfehlung, die mir irgendwo begegnet, ignorieren und trotzig auf irgendeinen Balkon steigen und rufen: „Völker dieser Erde, hört mich an! Selbst die geilste Avocado kann uns nicht unsterblich machen! Wir werden alle sterben! Auch Ray Kurzweil wird irgendwann mal sterben! Jeder von uns steht früher oder später da oben an der Pforte!“(Und freut sich darüber, dass irgendwann Morgan Freeman in einem Golfmobil vorgefahren kommt und uns zur Begrüßung einen weißen Trainingsanzug überreicht.

„Ich verwalte das ganze hier.“ wird Morgan Freeman sagen.
„Gott sei Dank!“ werden wir antworten.

Dann würde ich vom Balkon aus Pommes in die Menge werfen. Die geriffelten. Aber ich tu es nicht. Weil ich weiß, dass es sich lohnt, wenn man sich manchmal zusammen reißt. Also reiße ich mich manchmal zusammen. Und manchmal eben nicht. Manchmal feiere ich Erfolge, die gar keine sind. Zum Beispiel „5 Tage vegetarische Ernährung!“ Oder wenn ich es geschafft habe, drei Tage in Folge zu frühstücken. Das ist für jemanden, dessen wichtige Körperfunktionen erst gegen zehn Uhr morgens abrufbar sind, eine tolle Leistung. Aber ich gebe nicht auf. Trinke seit zwanzig Jahren keinen Zucker mehr im Tee, haben einen Ekel vor Nougatschokolade entwickelt und trinke höchstens einen Liter Cola im Monat. Und diesen Text wollte ich unbedingt veröffentlichen, auch wenn er schon etwas älter ist, immer in den Entwürfen lag und sich schon Schimmel darauf zu bilden begann.

Ihr dürft mir jetzt sehr gern verraten, wie ihr es geschafft habt, vom Morgenmuffel zum Frühaufsteher zu werden. Und vom 1. Vorsitzenden des Kohlehydrate-Fanclubs zum stillen Beisitzer.

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Zwischen den Jahren – ein Rückblick und Ausblick

Seit Jahren beobachte ich an mir zwischen Weihnachten und Silvester ein lästiges Phänomen. Während um mich herum alle entweder betrunken und vollgefressen sind oder den unmenschlichen Stress der Feiertage in einem Wellness-Resort verarbeiten, liege ich in eine Decke gewickelt irgendwo in der Wohnung herum, grüble, seufze und ernähre mich grenzwertig. Schlafanzugtag, nenne ich das liebevoll. Gemeint ist eigentlich: Schlafanzugwoche.

Schlafanzugtage

Anstatt bei ersten Anflügen von Weltschmerz entsprechende Gegenmaßnahmen zu ergreifen – nämlich einen gemütlichen Spaziergang zu machen, einen motivierenden Song von Destiny´s Child zu hören oder mir wenigstens bei geöffnetem Küchenfenster einen Obstsalat zuzubereiten – tue ich rein gar nichts und bilde mir ein, dass ich mir diese an ein Koma grenzende Entspannung jetzt durchaus mal gönnen kann.

Schlafanzugtage beginnen schleichend und zunächst vollkommen harmlos. Am 27. Dezember geht man im Schlafanzug an die gelbe Tonne und denkt sich erstmal nichts. Vielleicht sehen es die Nachbarn, vielleicht sieht es nur die Katze, was soll´s? Am 28. Dezember fährt man im Schlafanzug zu McDrive. Am 29. Dezember steht man im Schlafanzug an der Packstation (Ihre Amazon-Bestellung von COACH DICH SELBST SONST COACHT DICH KEINER liegt in der Packstation und kann abgeholt werden.) Am 30. Dezember will man nur mal schnell im Schlafanzug ein bisschen Geld am Bankautomaten abheben und am 31. Dezember ist man Gast auf einer Mottoparty, aber man hat das Motto vergessen und traut sich nicht nachzufragen und so tut man einfach so, als wäre das Motto „Pyjamaparty!“

Im letzten Jahr bin ich mit vier großartigen Menschen und einem Weltklassehund in eine Hütte nach Österreich geflüchtet. Das war schön. In diesem Jahr habe ich zwischen Weihnachten und Silvester freiwillig zwei Tage gearbeitet, war einmal im Kino und hatte einen vergnügten Weinabend. Außerdem habe ich mich heute eine ganze Stunde lang in unterschiedlichen Supermärkten aufgehalten, um meinen Adrenalinausstoß zu fördern und um morgen, am letzten Tag des Jahres, von mir sagen zu können, dass ich ein zivilisierter Mensch bin. Die Schlafanzugtage sind also Vergangenheit. Fürs Erste.

Lehrstunden

Das Jahr 2016 war ein gutes Jahr, nicht weil es mir besonders gut ging in diesem Jahr, sondern weil ich nun bis auf vier oder fünf Stellen hinter´m Komma weiß, warum es mir immer wieder so schlecht geht. Es hat mir gezeigt, dass es mir auf hohem Niveau schlecht geht. Ich habe in diesem Jahr gelernt, dass man mir nicht ansieht, in welchen Momenten ich deutlich mehr und auch deutlich weniger leistungsfähig bin als der angebliche Durchschnittsmensch, von dem man immer wieder so viel hört, dem ich aber noch nie begegnet bin.

Ich habe gelernt, dass ich diese Momente, diese Freiheit nicht geschenkt bekomme, solange ich nicht darüber spreche, mit möglichst ruhiger und fester Stimme, und solange ich nicht das Risiko eingehe, mich unbeliebt zu machen. Ich habe gelernt, dass es Auswirkungen hat – negative, psychische, physische – wenn man fünfmal „Ja“ sagt und erst beim sechsten Mal „nein“, weil in mir offenbar doch mehr von einem harmoniesüchtigen Perwoll-Mädchen steckt als ich wahrhaben möchte.

Das Jahr 2016 war ein gutes Jahr, weil es mir zweimal gezeigt hat, dass ich im entscheidenden Moment instinktiv das Richtige tue. Ich habe ein paar gute Orte besucht (aber ich war nur zwei Minuten in der Jazzbar, weil ich keinen Familienstreit auslösen wollte) und gute Gespräche geführt (die man nur jedem wünschen kann) und gute Menschen kennen gelernt und ich hatte Angst um andere gute Menschen, die habe ich immer noch, aber man lernt damit zu leben, und das ist noch etwas, was ich in diesem Jahr gelernt habe. Man lernt zu leben mit negativen Gefühlen wie Bedauern, Trauer und Angst, vorausgesetzt man redet darüber. Das ist etwas, was ich euch allen ans Herz legen möchte.

Schämt euch nicht immer so. Redet darüber. Einer wird euch dann ein bisschen bedauern für euer mangelndes Dies und euer fehlerbehaftetes Das, dafür dürft ihr denjenigen dann auch ein bisschen bedauern. Die anderen nehmen euch später in einer ruhigen Minute beiseite und bedanken sich. Von Herzen.

Zukunftsmusik

Spotify sagt, dass meine zwei meist gehörten Songs im Jahr 2016 von The Baboon Show („Class War“) und Justin Bieber („Sorry“) sind, eine schöne Zusammenfassung meiner beiden liebsten Aggregatzustände. Der Gastroenterologe sagt, es ist das Roemheld Syndrom. Und Max Goldt sagt in einem Interview mit der Zeit, dass seine Schreibblockade eigentlich eine Angststörung ist, eine Angst vor dem Scheitern und vor der Mühe, weil die sich nicht lohnen könnte. Vielleicht ist das die einzige Angst, die nicht weniger wird, mit der man nicht automatisch besser umgehen kann, nur weil man mal mit irgendwem drüber redet. Weil es ein Luxusproblem ist.

Das nächste Jahr wird spannend. Ich werde das Pflaster auf meiner Laptop-Kamera kleben lassen aus Furcht vor einer möglichen E-mail von einem NSA-Mitarbeiter („Hallo Franziska, ich arbeite bei der NSA und soll eigentlich die Chinesen beobachten. Ich bin vor drei Monaten aus Versehen bei dir gelandet. Wo hast du gelernt, so fantastisch zu tanzen, ohne vom Stuhl aufzustehen? Deine Spotify-Playlists sind einwandfrei, lass uns auch auf Instagram enge Freunde sein. Alles Gute, dein Chad.“).

Ich werde versuchen weniger Kaffee zu trinken. Ich freue mich auf eine neue Wohnung, neue Rituale, neue Herausforderungen und einen Staubsauger-Roboter. Ich freue mich auf Hochzeitspartys, auf weniger Schischi und auf mein eigenes kleines Zimmer, in dem ich Listen abhaken, schreiben oder einen Boxsack aufhängen kann.

Und eventuell finde ich sogar auch endlich Zeit und Gelegenheit für mein „Going loco down in Acapulco“-Tattoo. (Es ist sehr wichtig, dass das Tattoo zum Träger passt. Noch Fragen?) Ich wünsche uns allen ein bisschen mehr Frieden im Jahr 2017. Im Drinnen und im Draußen. Ich wünsche uns Brausebonbons und Schnürsenkel, die nie aufgehen. Ich wünsche uns gute Musik und Mut und dass wir sowohl Lehrer als auch Schüler sein dürfen. Ich gehe jetzt ins Bett. Heute Abend gibt es Pizza-Raclette.

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Warum schön uns manchmal allen scheißegal sein sollte

Ein dicker Arsch, ein finsterer Blick und wabbelige Oberarme sind nur drei von unzähligen Mängeln, die ich seit vielen Jahren mit mir herumtrage. Es fehlt mir an Liebreiz, an einem farbenfrohen Kleidungsstil und auch an den drei typischen weiblichen Schönheitsmerkmalen (Pferdemähne, Schwanenhals, Babyrobbenhaut). Warum ich das alles so genau weiß? Weil es mir seit Jahren immer wieder freundlich mitgeteilt wird. Seitdem ich ungefähr zwölf Jahre alt bin. Von Männern und Frauen, alten und jungen Menschen, von Wildfremden, von Familienmitgliedern, von guten oder nicht so guten Bekannten.

Es wird nicht nur mir mitgeteilt, es wird auch vielen anderen tagtäglich mitgeteilt. Jeden Tag steht irgendwo auf der Welt mindestens ein Arschloch auf, um irgendeine andere Person auf ihre äußerlichen Mängel hinzuweisen, mal unterhalb der Gürtellinie, mal knapp drüber, manchmal auch so als handle es sich um einen netten Gefallen.

Wenn ihr jetzt glaubt, dass das hier ein Artikel über die Boshaftigkeit der Menschheit wird und ich mich unter all den Wassereinlagerungen und hinter all den Schatten trotzdem unbedingt schön fühlen will, dann irrt ihr euch.

Ich will mich nämlich nicht schön fühlen. Ich weiß, es wird einem immer und überall vorgeschlagen und angepriesen. Und Frausein ist eng mit Schönsein verbunden. Jedes Mal, wenn irgendwo in der Öffentlichkeit eine Frau für ihr Äußeres kritisiert wird, lautet der Befehl „Hört nicht auf die Leute! Ihr seid stark! Fühlt euch einfach trotzdem schön!“

Und ein Teil von mir versteht diese Reaktion. Jede Frau ist schön. Das klingt gut. Die mit den buschigen Augenbrauen ist schön. Die Übergewichtige ist schön. Die Untergewichtige. Die Normalgewichtige, die sich einreden lässt, dass sie übergewichtig ist. Die Glatzköpfige. Die mit den kleinen Brüsten. Die mit den großen Brüsten. Die mit der Kurzhaarfrisur. Die mit den Schwangerschaftsstreifen.  Die mit der großen Nase.

Jede Frau ist schön. Ich hab´s kapiert. Body positive, Schönheit ist vielfältig, inneres Strahlen und so weiter und so fort. Ihr wollt, dass wir uns alle wohler fühlen in unserer Haut. Dass wir uns auf andere Dinge konzentrieren können als unsere Ärsche und ob die Frisur sitzt. Ihr wollt, dass wir uns unabhängig von unserer Außenwelt schön fühlen und ich sage Dankeschön dafür und ich meine das auch genau so.

Aber wisst ihr was? Vielleicht will ich mir nicht gebetsmühlenartig immer wieder vorsagen, dass ich ja trotzdem schön bin. Vielleicht zucke ich einfach mit den Schultern, vielleicht will ich keinen einzigen Menschen auf dieser Welt vom Gegenteil überzeugen, vielleicht können wir der Schönheit ab morgen einfach mal für eine Weile den Boden unter den Füßen wegreißen.

Wäre das nicht wohltuend? Wenn Schönheit einfach mal nicht das Thema wäre. Wenn Schönheit mal für eine Weile ihren Reiz verlieren würde. Wenn wir einfach mal so tun würden, als gäbe es keinen einzigen schönen, aber dafür viele interessante, vielfältige Menschen auf der Welt. Wenn wir ab sofort nur noch Komplimente verteilen würden, die sich auf alles beziehen, nur nicht auf Äußerlichkeiten. Wenn Leute sich etwas anderes suchen würden, was sie am Anderen spannend finden.

Vielleicht sollten wir die Liste unserer angeblichen Mängel und unsere fehlende Schönheit in Zukunft nicht mit einem trotzigen „Doch!“ kommentieren, sondern mit einem entspannten „Na und?“ Vielleicht kann man das üben. Vielleicht lohnt es sich, das zu üben, anstatt immer wieder die gleichen Zitate auf Instagram zu liken und still zu hoffen, dass morgen ein Arschloch weniger aus dem Bett steigt.

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Blaue Räume

Genau vierzehn Tage später stehen wir ein zweites Mal in der Wohnung. Die Räume sind nicht kleiner geworden, oder dunkler, im Gegenteil. Wir entdecken, dass die Küche einen extra Besenschrank hat, das heißt man kann nicht nur zu zweit ohne Probleme gleichzeitig Gemüse schneiden, ohne übereinander zu stolpern, man kann sich währenddessen auch über den Besen freuen, der sich im Schrank versteckt hält. Nur das blaue Zimmer bereitet mir Sorgen, es ist irgendein Gefühl, irgendetwas widersetzt sich in mir, es lädt zu unproduktiven Sachen ein, auf die ich keine Lust habe. Also sage ich später zu M., dass ich diesen Raum immer nur von der Loggia aus betreten werde und er schmunzelt und weist mich darauf hin, dass ich, um den Raum – meinen Raum – von der Loggia aus betreten zu können, vorher trotzdem mindestens einmal vom Flur aus das Zimmer betreten und von innen die andere Tür geöffnet haben muss. Manchmal bereiten mir die einfachsten Gedanken Mühe.

Ich war in Sorge, ein kleines bisschen, dass ich ein bisschen unkreativ geworden bin, aber D. teilt mir mit, dass der erste Teil ihrer Hochzeitseinladung ihr gefällt, als hätte ich direkt in ihr Gehirn geschaut, und ich bin sehr froh und beschließe das später in mein Dankbarkeits-Tagebuch zu schreiben, das ich führe, seit neuestem, wie so ein Mensch, dem man bei den einfachsten Dingen auf die Sprünge helfen muss, aber vielleicht ist das tatsächlich so, dass ich das Dankbarsein verlernt habe oder nie gut darin war, also schreibe ich jeden Abend in ein DIN A7 kleines gelbes Heft drei Dinge, für die ich dankbar bin und manchmal reicht der Platz gar nicht aus.

Weil der Film nicht laufen will, schauen wir Teleshopping, vollgefressen mit Pizza und Enzymen vom Pankreas eines Schweines und wir schauen eigentlich nur nebenbei, aber unsere Gedanken kreisen eine ganze Weile um den Lumeso-Bonsai mit den 24 Fiberoptikblüten und der integrierten Timerfunktion und mit welcher Ernsthaftigkeit der schnuffelherzbärchige Moderator von der Energie spricht, die das Ding transportiert, und ich denke, das Bäumchen ist wie ein Placebo, wenn man daran glaubt und wenn man sich dann weniger allein fühlt, weil halt irgendwo in der Wohnung irgend so ein Ding heimelig leuchtet, für 19,99, dann geht das schon irgendwie in Ordnung.

Der Tag geht zu Ende mit der Erkenntnis, dass es beruhigend sein kann, einer Hydraulikpresse dabei zuzusehen, wie sie Dinge zerquetscht.

Der Account gehört einem Russen, ich mag Russen, irgendwann landet man dann ganz woanders bei einer Badeente, die in der Mitte durchgeschnitten und einer Waffel, die übertrieben lang mit Softeis befüllt wird, man kann sich voll darin verlieren und ich frage mich wie es wäre nach dem Schreiben des Dankbarkeits-Tagebuches, in dem manchmal auch so banale Dinge stehen wie „Die Pizza in der Spelunke hatte einen Durchmesser von 45 cm“, und vor der zehnminütigen Meditation der Hydraulikpresse dabei zuzusehen wie sie alltägliche Konsumgüter zerquetscht.

Vielleicht werde ich mich in dem blauen Zimmer, das bald nicht mehr blau sein wird, doch wohl fühlen.

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Wer bin ich? Warum gibt es grüne Paprikas? Und wann bin ich endlich erwachsen?

Zwischen Geburt und Tod passiert im Leben eines Menschen häufig etwas höchst Beunruhigendes. Die Gesellschaft beginnt irgendwann im ersten Drittel in dir einen erwachsenen Menschen zu sehen und – jetzt das Beunruhigende – du glaubst es dann nach einer Weile selber. Es beginnt zunächst recht harmlos. Mit einem Präsentkorb zum Geburtstag. Die ersten Male sind ungewohnt, irgendwann freust du dich jedoch über die ganze Holundermarmelade und den Käse und die rote Wurst und den Bienenhonig aus der Region. Und den Wein trinkst du dann schließlich auch lieber selber, verschenkst ihn nicht mehr an „reifere Menschen“ aus deinem Bekanntenkreis.

Jeder Tag birgt die Gefahr, dass du dir eine petrolfarbene Bluse kaufst und dich bei Familienfesten an Streitgesprächen über Probiotika beteiligst. Und irgendwann schaffst du dir dann eine Etikettiermaschine und eine Decke mit Ärmeln an. Die Decke trägst du jeden Abend vor dem Fernseher, in dem die pubertäre Kimberley-Raclette sich gerade mit der Nanny oder dem Schuldenberater zankt. Wenn du Glück hast, hast du Netflix und der langsame Tod deiner Gehirnzellen sieht von außen betrachtet nicht ganz so erbärmlich aus. (Weil du Bojack Horseman statt „Frauentausch“ guckst zum Beispiel)

Und das alles wäre nicht so schlimm, ganz im Gegenteil, es gibt nichts Schöneres als minimal spießig und maximal super zu sein. Schlimm wird es, wenn du einfach ständig nur so dasitzt und mit verbissener Miene immer erwachsener wirst, und vollkommen vergisst, dass diese Erde manchmal ein magischer Ort ist. Du vergisst, wie man sich wundert. Du hörst auf, Fragen zu stellen. Dabei passieren doch so viele Dinge, über die man sich ruhig mal den Kopf zerbrechen kann.

Zum Beispiel warum es in den 3er Packungen Paprika immer nur rote, gelbe und grüne und nicht mal eine orangene Paprika gibt. Es gibt immer nur Rot, Gelb und grün. Selbst bei Viererpackungen gibt es oft nur zweimal Rot, Gelb und Grün. Und jedes Kind weiß, dass einfach niemand die grünen Paprikas mag. Man toleriert sie irgendwie, notgedrungen. Sie sind halt da, ja mein Gott, man kauft halt die 3er-Packung mit den grünen Paprikas, weil: Was will man denn machen? Man ist doch hilflos in diesem Moment!!!!!!

Die grünen Paprikas sind wie die Person, die auf Partys immer zu den unmöglichsten Zeiten über Mutter-Kind-Kuren und Terrorismus sprechen möchte. Natürlich ist jeder von uns irgendwann einmal im Leben die grüne Paprika gewesen. Jeder von uns hat schonmal irgendwo gesessen zwischen Menschen, die uns fremd geworden sind, und sich gedacht: Was soll ich hier, steckt mich doch einfach zurück in die Gemüsekiste, ich habe keine Lust auf Small Talk und die sprechen nur alle über Bauchnäbel und Nudelsalat, ich hasse mein Leben, ich hasse die anderen, ich will jetzt nach Hause, wo ist mein Anorak?

Ich hatte mal eine Phase, in der ich drei Monate lang die grüne Paprika sehr gemocht habe. Ich habe sie ständig in Kräuterquark gedippt und mich gefühlt wie jemand, der niemals die Kontrolle über sein Leben verlieren wird. Das war irre. Es ging dann auch recht schnell wieder vorbei.

Neben den grünen Paprikas gibt es jedenfalls noch weitere erstaunliche Dinge, die mir angenehmes Kopfzerbrechen bereiten. Wie die Menschen immer auf die Autobahnen kommen zum Beispiel. Ich meine, was machen die da? Man hört im Radio, da sind irgendwo Menschen, und fragt sich: Wie kommen die dahin, wer hat die ausgesetzt, wissen die nicht, dass Fußgänger auf Autobahnen nichts verloren haben? Wie passiert so was? Kinder zum Beispiel: Warum spielen die in einem Moment noch Frisbee und trinken Erdbeer-Milchshake und stehen dann im nächsten Augenblick plötzlich auf der Autobahn?

Oder wieso man so oft Kopfhaare aus der Unterhose sammeln muss. Klar, bei vielen Menschen sind Kopf und Arsch recht nah beieinander, aber das ergibt doch trotzdem keinen Sinn. Oder warum die Mortadella Kindern immer am besten schmeckt, wenn Mama oder Papa sie vorher zusammenrollen. Oder warum Mütter immer sonntags um 19 Uhr anrufen und das Gespräch grundsätzlich mit dem Satz „Ich wollt nur mal hör´n.“ beginnen.

Lasst uns wieder zu Kindern werden, die sich nicht nur mit den wirklich wichtigen Fragen des Lebens herumquälen und daran jeden Tag verzweifeln. Weil ja nunmal niemand mit absoluter Sicherheit sagen kann, was nun der Sinn des Lebens ist oder warum es soweit kommen konnte, dass Donald Trump Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika ist. Lasst uns die wichtigen Fragen öfter mal ausblenden. Fragen wir uns lieber öfter, warum Pommes mit Rillen immer besser schmecken als Pommes ohne Rillen, warum Schwimmbadpommes von allen Pommes am allerbesten schmecken und was eigentlich dagegen spricht, grundsätzlich nur noch Pommes mit Rillen in Schwimmbädern zu verkaufen.