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Porzellanladen

Im Porzellanladen #2

Da war diese andere Seminarteilnehmerin, vergangenen November in Berlin, die in die Runde gefragt hat, ob hier jemand twitter privat benutzt. Sie versteht den Sinn dahinter irgendwie nicht, betreut aber den Twitter-Account ihres Arbeitgebers. „Ich liebe twitter.“ war meine Antwort, und das meine ich sogar nach zehn Jahren immer noch ernst. Und dann habe ich versucht, ihr auf eine sehr umständliche Art und Weise zu erklären, was an twitter nun so toll ist. Der Wortwitz, die unterschiedlichen Menschen, die Dinge, die sich daraus entwickeln.

Meine Erläuterungen müssen sie nicht überzeugt haben. Das ist nicht verwunderlich, meine Erläuterungen überzeugen in der Regel niemanden, es ist eine meiner vielen Superkräfte, die sich irgendwann entladen werden, wahrscheinlich in einem Rhetorik-Seminar, das ich notgedrungen besuchen werde.

„Ich hab ja eigentlich genug echte Freunde im Leben.“ war ihre einleuchtende Antwort. Ich fühlte mich wie ein wunderlicher Miley-Cyrus-Fan. Immerhin durfte ich sie dann guten Gewissens unsympathisch finden. Und vielleicht hat sie twitter ja mittlerweile begriffen. Oder man hat ihr einen Job gegeben, in dem sie nicht mit dem Internet verbunden sein muss.

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Irgendwann spürt man, dass etwas anders ist. Etwas hat sich verändert und man merkt es an den neuen Wegen, die man plötzlich zurücklegt. Die Adressen, die man in das Navigationsgerät eingibt. Die Gastgeschenke. Das Verzichten darauf. Die Playlists und die Unterhaltungen, die man unterwegs führt oder nicht führt. Die Bücher, die man aus dem Regal holt, von denen man vor zwei Jahren dachte, man hätte etwas daraus gelernt, irgendetwas fürs Leben mitgenommen, und jetzt ist man nur noch froh, dass man diese „Wir können alles schaffen, wir müssen nur wollen.“-Scheiße nicht geglaubt hat.

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Ich werde in diesem Jahr keine Bastelarbeiten machen. Und auch nicht unnötig Sprit verbrauchen. Und nicht am Schreibtisch sitzen und mir unzählige Gedanken machen über all die unsichtbaren Dinge, für die ich nicht verantwortlich bin, für die ich mich aber naturgemäß häufig verantwortlich fühle, weil ich einer dieser nervigen „Könnten wir nicht und sollten wir nicht?“-Menschen bin, die immer sinnvoll, aber manchmal nutzlos sind. Ich werde mir nicht ständig den Kopf darüber zerbrechen, wer nun verantwortlich ist. Ich werde mir einen Raum schaffen, in dem ich verantwortlich bin, niemand sonst, und ich werde mich so oft wie möglich in diesem Raum aufhalten.

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Letztes Jahr ist mir dieser Spruch begegnet. Und er hat mir, neben einigen anderen Dingen, also den üblichen Verdächtigen, Katzen, Bier, frische Luft, er hat mir also ein bisschen das Leben, setzen wir es mal in Anführungszeichen, „gerettet“. Ich hab ihn seitdem an drei oder vier Menschen weitergegeben, an gute Freunde, an alte Bekannte. „Perfectionism is a serial killer.“ Er schwimmt noch an der Oberfläche, er konnte noch nicht richtig sacken, dieser Spruch, aber er geht jetzt immer öfter einfach so mit mir mit und hakt sich hin und wieder ein und wenn ich Angst habe, verrückt zu werden, schließt er einen Tab für mich.

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Vielleicht habe ich das Ehlers-Danlos-Syndrom. Das klingt so groß und so fremd. Bis vor einer Woche war ich noch ein Mensch, der zu neugierig und manchmal auch ein bisschen zu clever und hartnäckig ist und dem das Leben zu viele Puzzleteile vor die Füße geworfen hat. Ich war jemand, bei dem Angst und Mut sehr nah beieinander liegen. Sie berühren sich ständig, immer ist da sehr viel Angst und immer ist da auch sehr viel Mut. Jetzt bin ich ein Mensch, der auf Blutergebnisse wartet und bald einen CT-Termin hat. Ich bin jetzt auch jemand, der sich einen Termin beim Psychologen geholt hat. Weil ich das alles nicht alleine schaffen kann. Und auch nicht möchte. Diese Krankheit. Diese Gesellschaft. Diese ständige Frage, ob ich Teil einer Extra3-Dokumentation bin.

3 Antworten auf „Im Porzellanladen #2“

„und jetzt ist man nur noch froh, dass man diese „Wir können alles schaffen, wir müssen nur wollen.“-Scheiße nicht geglaubt hat.“
Danke für diesen Halbsatz.

ein sehr schöner text. ich glaube, es gibt twitter menschen und es gibt die anderen. ich glaube auch irgendwie nicht, dass man das wirklich lernen kann. muss man vielleicht auch nicht.
ich wünsche dir alles gute für deine befunde!

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