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Nur glückliche Orangen in der Saftpresse

Wir sterben hier, ganz langsam, und wir fahren in die nächst größere Stadt in irgendein Scheiß Einkaufszentrum und haken Länder ab auf unserer To-Do-Liste und wir fiebern Dingen entgegen, die man halt mal gemacht haben muss, laut Volksmund, obwohl der ja auch viel Scheiße erzählt und sabbert und riecht und spuckt wie ein Lama und in den Zoo können wir auch mal wieder gehen, das ist so schön, da vergisst man, dass wir hier alle ganz langsam jeden Tag ein bisschen sterben. Da können wir uns kleine Äffchen anschauen und bengalische Tiger, die uns nicht fressen können, weil da ja ein hoher Zaun ist.

Wir sterben, wir geben jeden Tag etwas von uns ab, aber man hört und sieht es nicht, es ist nicht wie bei dem Lumpensammler, den hört man ja, wenn er kommt, wie auch immer, wir haben hier in unserer Straße ganz andere Probleme, ganz konkrete Probleme. Der Handyvertrag läuft aus, welches neue Teil hol ich mir? Passen die Kissen zu den Gardinen? Und ist bei den 300 neuen Arrivals meines Lieblings-Online-Shops vielleicht was Passendes für mich dabei?

Und wie mach ich möglichst vielen Leuten unmissverständlich klar, dass ich ein Gewinner bin, ein Macher, der Kompromisse nicht nötig hat, und dass mit mir nicht gut Kirschen essen ist. Und Äpfel und Birnen und Weintrauben auch nicht – der ganze Scheiß Obstsalat.

Wir sterben hier, nicht erst seit gestern, das geht schon länger so, aber unsere Zeit ist doch kostbar, vergeuden wir sie nicht durch Grübeleien oder Fragen. Lasst uns lieber die falschen Schlüsse ziehen. Man kann sich ja nicht um alles kümmern und einer alleine sowieso nicht und jeder will am Ende sowieso nur an dein Geld, da fängt die Freundschaft an, da hört sie auch wieder auf, also machst du es vorsorglich zu deinem Thema, deinem Bezugsrahmen, deiner Versicherung, deiner Selbstsicherheit, die du am Bankautomaten abheben kannst.

Und natürlich könnte man sich mal fragen „Warum wurde ich überhaupt auf die Welt geworfen, was mach ich hier, was soll denn das?“, vielleicht könnte man den Menschen wirklich mal in den Mittelpunkt stellen, nicht immer nur irgendwelche Dinge, aber das sind Fragen, die nur ablenken, nicht wahr? Man ist doch pragmatisch, man packt an, man ist ein anständiger Mensch, wann will wirklich für alle immer nur das Beste, hat aber leider keine Zeit, sich mal zu fragen, ob andere da draußen „das Beste“ vielleicht ganz anders definieren. Sollen die doch drüber nachdenken, wir haben uns ja schon entschieden.

Die Sonderbaren. Die Insichgekehrten. Die Träumer. Die stillen und tiefen und undurchsichtigen Gewässer. Die zerdenken das doch gerne und ausgiebig. Wir sind Macher.

Und wir sterben hier ganz langsam, aber es betrifft natürlich erstmal nur die anderen, wir atmen auf, wir bestellen noch eine Runde für alle, wir haben noch Zeit, ganz bestimmt, ganz bestimmt, uns geht das jetzt erstmal nichts an. Lasst uns die letzten fünf Minuten vor Mitternacht nutzen, um uns in einen schönen warmen Kaschmirmantel des Schweigens zu hüllen und mit vollen Bäuchen und leeren Köpfen die immer dünner werdende Luft zu genießen.

2 Antworten auf „Nur glückliche Orangen in der Saftpresse“

Sehr viel Wahrheit in sehr wenigen Sätzen. An Tagen an denen ich über so etwas nachdenke verlasse ich nur ungern meine Wohnung. Heute war wieder so einer. Naja, bald ist ja Weihnachten und das Jahr neigt sich ja auch schon wieder ist ja auch schon wieder fast dem Ende zu. Vielleicht wird ja an Neujahr alles besser.

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